Philip Wolfsteiner | August 8, 2023

Zinswende: Working Capital als Finanzierungshebel

Die Beschaffung von Liquidität stellte in den vergangenen Jahren für die wenigsten Unternehmen ein Problem dar. Niedrige Zinsen, stabile Wirtschaftsbedingungen und geringe Ausfallrisiken erzeugten ein optimales Finanzierungsklima. Der Angriffskrieg auf die Ukraine und die Energiekrise haben diese Situation allerdings ins Gegenteil verkehrt: Sowohl die Zinswende als auch die anhaltend hohe Inflation stellen aktuell viele Unternehmen vor Herausforderungen. Damit rücken interne Finanzierungshebel wieder stärker in den Fokus. Das Optimierungspotenzial von professionellem Working Capital Management wird dabei noch oft unterschätzt.

Kreditfinanzierung war für Unternehmen schon lange nicht mehr so teuer. Laut der Bank Lending Survey der EZB vom Mai 2023 verschärfen sich die Kreditkonditionen für Unternehmenskredite derzeit so rapide, wie es seit 2011 nicht mehr der Fall war. Ausschlaggebend dafür sind vor allem die Anhebung des EZB-Leitzinses sowie die Verringerung der Zentralbankliquidität. Das wirkt sich ungünstig auf die Refinanzierungskosten der Banken aus, die ihre Kreditstandards in Reaktion darauf zunehmend verengen. Für das zweite Quartal 2023 rechnen die Banken im Euroraum zudem damit, dass sich die Kreditsituation noch weiter zuspitzen wird. In stark fremdfinanzierten Unternehmen kann das zu gravierenden Liquiditätsengpässen führen.

Finanzbedarfe intern decken

Was viele Unternehmen übersehen, sind die internen Finanzierungshebel. Dabei kann ein konsequentes Liquiditäts- und Working Capital Management den finanziellen Druck deutlich senken und neue Handlungsfreiräume schaffen. Besonders in Zeiten wie diesen gewinnen Instrumente wie konsequentes Debitorenmanagement und optimierte Lagerhaltung deshalb wieder an Bedeutung. Die Ansatzpunkte sind vielfältig und unterscheiden sich in ihrem Potenzialumfang von Unternehmen zu Unternehmen:

  • Kapitalbindung optimieren
    Die Niedrigzinsphase der vergangenen Jahre hat dazu geführt, dass in den meisten Unternehmen mehr Working Capital gebunden ist als notwendig. Um Liquiditätsgrade zu erhöhen, ohne dabei Ertragspotenziale im Tagesgeschäft zu gefährden, braucht es wohl überlegte Optimierungsmaßnahmen. Denn es gilt: Weniger Working Capital ist nicht in jedem Fall besser. Diese 4 Best Practices liefern mögliche Anhaltspunkte.

  • Potenziale effektiv freisetzen
    Aus unserer Beratungserfahrung wissen wir: Durchschnittlich ist eine Reduktion des Working Capital Bestandes von über 20 Prozent realistisch. In welchen Bereichen sich unproduktives Kapital tendenziell ansetzt, ist allerdings stark branchen- und unternehmensabhängig. Benchmarks können eine grobe Orientierung geben und Hinweise auf die Größenordnung von Potenzialen liefern. Hier lesen Sie mehr dazu.

  • Lagermanagement professionalisieren
    Während sich die Kundenbedürfnisse über nahezu alle Industrien hinweg immer weiter ausdifferenzieren, wachsen naturgemäß auch die Produktsortimente – und damit die Lagerbestände. Im Bestandsmanagement gibt es deshalb oft erhebliche Einsparungsmöglichkeiten. Diese 10 Ansatzpunkte können Ihrem Unternehmen helfen, seine Lagerbestände zu optimieren.

  • Debitoren- und Kreditorenmanagement anpassen
    Deutlich weniger komplex als das Bestandsmanagement ist die Verwaltung der eigenen Forderungen und Verbindlichkeiten. In vielen Fällen können durch die Verkürzung von Zahlungsfristen für Debitoren sowie die Nutzung von Zahlungszielen in Bezug auf Kreditoren schnelle und effektive Entlastungen erreicht werden. Erfahren Sie hier, wie Sie dabei vorgehen können.

  • Den Überblick behalten
    Das Working Capital kann nicht in einer Einmalübung optimiert werden und lässt sich nur in Zusammenarbeit mit mehreren Unternehmensfunktionen effektiv steuern. Darum kommt dem Working Capital Controlling als Managementinstrument eine besondere Bedeutung zu. Es erlaubt, Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen, hilft mögliche Steuerungsmaßnahmen zu identifizieren und ihre Effekte zu verfolgen.

  • Herausforderungen antizipieren
    Anders als die konkreten Potenzialfelder sind die typischen Herausforderungen im Umgang damit oft gleich. In unserer Beratungspraxis erleben wir zum Beispiel vielfach, dass dem Working Capital Management nur zu Bilanzstichtagen Beachtung geschenkt wird. Dabei liegen gerade in der strukturierten und kontinuierlichen Auseinandersetzung die größten Verbesserungschancen.

Besonders in Krisenmomenten verliert man oft den Blick für naheliegende Lösungen. Vor dem Hintergrund steigender Zinsen und ungünstiger Preisdynamiken wird es allerdings immer wichtiger, interne Finanzierungshebel nicht ungenutzt zu lassen. Wer mit Liquiditätsengpässen konfrontiert ist, kann Finanzbedarfe über ein optimiertes Working Capital Management möglicherweise um ein Vielfaches günstiger decken als auf externen Kapitalmärkten. Davon profitieren Unternehmen nicht nur kurz- und mittelfristig durch zusätzliche finanzielle Spielräume, sondern – konsequent umgesetzt – auch langfristig. Im kostenlosen Download finden Sie Praxisbeispiele und wertvolle Tipps für operative Exzellenz im Working Capital Management.

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