Philip Wolfsteiner | Dezember 14, 2017

3 Tipps für ein state-of-the-art Working Capital Controlling

Das klassische Controlling konzentriert sich in vielen Unternehmen auf Kosten und Profitabilität. Kapitalbindung wird demgegenüber oftmals vernachlässigt. Verantwortliche Mitarbeiter wissen oft nicht, wie viel liquide Mittel im Working Capital gebunden sind und wo sie ansetzen können, um Liquiditätspotentiale zu heben. Selbst wenn Maßnahmen zur Optimierung der Kapitalbindung gesetzt wurden, wird ihre Wirksamkeit nicht überprüft. Das Thema Kapitalbindung wird oft nur als Finanzaspekt gesehen, statt die operative Reichweite zu erkennen und zu nutzen.

In einem früheren Beitrag haben wir aufgezeigt, wie Sie das Working Capital Ihres Unternehmens optimieren können. Im aktuellen Beitrag geht es um Tipps zum operativen Working Capital Controlling.

Was in Stichtagsanalysen zu kurz kommt

Die meisten Unternehmen betrachten ihr Working Capital nur an vorgegebenen Stichtagen, also zum Beispiel zum Monatsende. Sämtliche Entwicklungen, die zwischen den Stichtagen passieren, bleiben dabei unberücksichtigt. Das verführt Fachabteilungen wie Vertrieb, Einkauf, Logistik oder Produktionsplanung dazu, das Working Capital bewusst auf diese Stichtage hin zu optimieren.

Vor dem Stichtag werden Lager gezielt abgebaut und Zahlungsziele bei Kunden besonders strikt durchgesetzt. Eigene Zahlungen dagegen werden über den Stichtag hinaus verzögert. Wer am Stichtag einen möglichst hohen Bestand an Lieferverbindlichkeiten ausweisen kann, hat vermeintlich mehr Liquidität zur Verfügung. So entsteht ein verzerrtes Bild der Realität, das Problemfelder verdeckt und Fehlentscheidungen nach sich zieht.

Tipp: Vermeiden Sie stichtagsbezogenes Reporting und operieren Sie mit zeitraumbezogenen Performance-Indikatoren. Das heißt, für die Berechnung eines durchschnittlichen Lagerumschlags muss jede einzelne Lagerbewegung betrachtet werden und nicht ein Lagerbestand, der sich zum Stichtag optimieren lässt.

Aggregierte Kennzahlen erlauben keine wirksame Analyse

Kennzahlen und Performance-Indikatoren sind in der Regel hochgradig aggregiert, weil sie auf Aussagen über das Gesamtunternehmen oder das Abschneiden eines Unternehmensteils abzielen. Um tatsächliche Entwicklungen zu verstehen und dadurch Potentiale und Probleme zu erkennen, müssen Sie tiefer in die Daten einsteigen. Nehmen Sie zum Beispiel die Lagerumschlagshäufigkeit von Fertigwaren. Im Durchschnitt kann diese Kennzahl zufriedenstellend oder sogar gut ausfallen. Erst wenn Sie auf die Ebene einzelner Lagerartikel gehen, erkennen Sie an einer extrem langen Lagervorhaltung, welche Ladenhüter Sie mitschleppen.

Wenn die Entwicklung von Forderungen oder Verbindlichkeiten jeweils nur gesamthaft dargestellt ist, erkennen Sie nicht, was die Ursachen und Treiber für diese Entwicklungen sind. Sinkende Lieferforderungen sind auf den ersten Blick eine positive Entwicklung. Dahinter kann aber auch stecken, dass Kunden verstärkt von Skonti Gebrauch machen. Mitunter hat sich nur der geografische Absatzmarkt  verschoben. Es wird mehr im deutschsprachigen Raum abgesetzt, wo schneller geliefert und gezahlt werden kann, während Aufträge aus Südeuropa oder Übersee zurückgehen.

Tipp: Um zu erkennen, was Ihr Working Capital beeinflusst, sollten Sie Einzeleffekte, die mitunter gegenläufig sind, auf der Ebene einzelner Lagerartikel und Fakturen analysieren.

 

Abbildung Klientenbeispiel: Ursachen-Analyse für Veränderungen im Bestand an Lieferforderungen

Die Daten sind da, nicht aber die Analysen

Die gute Nachricht lautet, dass die Informationen, die Sie für ein wirksames Working Capital Controlling brauchen, in Ihrem Unternehmen vorhanden sind. In ERP-Systemen werden die erforderlichen Daten zwar standardmäßig erfasst, doch an der Auswertung hakt es häufig. Um ein umfassendes und faktenbasiertes Bild über das Working Capital Ihres Unternehmens zu bekommen, müssen Sie die richtigen Fragen stellen und durch zielgerichtete Big-Data-Analysen eindeutig beantworten.

Typische Fragen, die ein Working Captial Reporting beantworten sollte, sind:

  • Wie viele Zahlungskonditionen sind in Verwendung?
  • Welche Kunden haben im Vergleich zu ihrer Peer-Group zu lange Zahlungskonditionen?
  • Welche Kunden zahlen unpünktlich? Welche davon nutzen trotzdem Skonti aus?
  • Welche Kunden werden wie intensiv gemahnt?
  • Welche Kunden haben sich in ihrem Zahlungsverhalten verbessert/verschlechtert?
  • Welche Lieferanten haben im Vergleich zu ihrer Peer-Group zu kurze Zahlungskonditionen?
  • Werden bei allen Lieferanten Zahlungskonditionen voll ausgeschöpft?
  • Bei welchen Lagerartikeln (SKU) weicht die Lagerdrehung von einem Optimal-Niveau ab?
  • Welches ist das Optimal-Niveau je Lagerartikel?

Tipp: Wenn Sie Ihr Working Capital optimieren, sollten Sie neben einem Effektcontrolling auch ein Maßnahmencontrolling einführen: Wer hat welche Maßnahme zu implementieren? Bis wann? Welche Voraussetzungen sind dafür zu schaffen? Wie wird mit Abweichungen umgegangen?

Fazit Working Capital Controlling

Mit einem State-of-the-Art Working Capital Controlling bekommt das Management ein Instrument in die Hand, um die richtigen Fragen zu stellen, Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen und Ressourcen potentialorientiert einzusetzen. Gleichzeitig geben Sie damit auch den fachlichen Verantwortungsträgern in Vertrieb, Finanzen, Einkauf, Logistik und Produktionsplanung die Tools an die Hand, um Verbesserungspotentiale zu erkennen, Ansatzpunkte zu identifizieren und diese nachzuhalten.

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