Philip Wolfsteiner | Februar 6, 2018

10 Ansatzpunkte für ein schlankes Fertigwarenlager

Läger haben die Tendenz sich zu füllen. Dafür gibt es mehrere Ursachen: Die Nachfrage wird volatiler und damit schwieriger planbar. Um Fertigungskapazitäten auszulasten, müssen Rüstzeiten minimiert werden. Oft benötigen die eigenen Lieferanten höhere Vorlaufzeiten.

Vor allem aber wächst bei den meisten produzierenden Unternehmen die Produktpalette, weil sich die Kundenbedürfnisse immer stärker ausdifferenzieren und man sich als Anbieter über maßgeschneiderte Lösungen zu unterscheiden versucht.

Damit steigen nahezu zwangsläufig auch die Lagerstände. Einerseits müssen für jeden neuen Artikel Sicherheitsbestände vorgehalten werden. Andererseits variiert die Nachfrage je Artikel in der Regel stärker, wenn mehr Produkte angeboten werden.

Bei wachsenden Fertigwarenlägern ist immer mehr Kapital gebunden. Die Lagerkosten steigen. Logistikprozesse laufen nicht mehr optimal, und die Lagerkapazitäten müssen aufgestockt werden. Zugleich steigt das Risiko, Ladenhüter zu produzieren. Abschreibungen auf „dead stock“ belasten das Ergebnis.

Unterm Strich steigen Kosten und Investitionen in Läger und Logistik und damit der Finanzierungsbedarf Ihres Unternehmens. Wenn mehr Working Capital gebunden ist, können Sie Ihr Wachstumspotenzial nicht voll ausschöpfen.

Welcher Lagerumschlag ist optimal?

Eine wesentliche Kennzahl um die Performance des Lagermanagements zu messen, ist der Lagerumschlag. Das ist die Zeitspanne, in der sich ein Lager einmal komplett dreht. Doch ist ein Lagerumschlag von 40 Tagen nun gut oder schlecht? Die unbefriedigende Antwort: Es kommt ganz darauf an.

Selten ist die Frage nach dem betriebswirtschaftlichen Optimum schwieriger zu beantworten als im Bereich Lagermanagement. Beantworten lässt sich diese Frage nur auf der Ebene des einzelnen Lagerartikels – wir reden auch von der „stock keeping unit“, kurz SKU. Dabei spielen zahlreiche Faktoren mit:

  • Wie lange und volatil ist die Wiederbeschaffungszeit für diese SKU?
  • Wie flexibel und kurzfristig können Lieferanten und die eigene Fertigung kurzfristig reagieren?
  • Welches ist die optimale Losgröße für die Beschaffung bzw. für die eigene Fertigung unter Betrachtung der Transport- und Handlingkosten wie auch der Rüstkosten und -zeiten?
  • Mit welcher Genauigkeit ist die Nachfrage nach der SKU in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten vorhersehbar?
  • Welche Lieferzeiten akzeptieren die Kunden, und welche bieten die Wettbewerber?
  • Welcher Service Level soll den Kunden geboten werden?
  • Welche konjunkturellen oder technologischen Entwicklungen oder Einflüsse von Zinsen, Rohstoff- und Vorproduktpreisen gibt es bei dieser SKU?
  • Wie entwickelt sich das Angebot der Wettbewerber?

Ein Patentrezept fürs Lagermanagement gibt es also schlicht und ergreifend nicht. Aus langjähriger Erfahrung wissen wir, dass Unternehmen oft gar nicht wissen, wie viel überschüssige Lagerstände sie herumschleppen. Geschweige denn, dass in diesen Unternehmen Lagerstände effektiv geplant werden.

Lagerstände zu überwachen und laufend zu optimieren, kann weder die Logistik, noch die Fertigung, noch der Vertrieb oder der Einkauf alleine leisten. Dabei ist zwingend das Management gefragt. Die wichtigsten Überlegungen, wie Sie Ihr Fertigwarenlager in den Griff bekommen, habe ich hier als Zehn-Punkte-Programm zusammengefasst.

10 Ansatzpunkte für optimierte Lagerbestände

1. Schaffen Sie Transparenz!

Ermitteln und dokumentieren Sie Lagerreichweiten, Wiederbeschaffungszeiten, Volatilität und Planbarkeit der Nachfrage auf der Ebene jeder SKU. Ordnen Sie jeder SKU auch die jeweiligen Lager- und Logistikkosten zu. Wie immer im Working Capital Management reicht eine Stichtagsbetrachtung nicht aus.

Wo Läger zu Stichtagen überwacht werden, kommt es oft zu der kontraproduktiven Situation, dass am Ende des Geschäftsjahres Lagerstände zurückgefahren werden, und im Jänner sind Sie dann „out of stock“. Nur über eine Zeitraumbetrachtung können Sie jede einzelne Lagerbewegung erfassen und erkennen, wo sich im Lager “Bodensatz” gebildet hat, der keine Drehung mehr aufweist.

2. Verbessern Sie Ihre Absatzplanung!

Hier gilt es zuallererst, die Hausaufgaben zu machen und den Informationsfluss zu verbessern. In vielen Unternehmen ist das Wissen über Kunden und ihr Verhalten über viele Köpfe verteilt, aber nicht in verarbeitbarer Form erfasst (zum Beispiel in CRM-Systemen oder Rolling Forecasts).

Hier ist neben den entsprechenden Tools und Systemen oft auch ein Kulturwandel nötig, um Wissensmonopole aufzubrechen und alle Beteiligten vom Nutzen verbesserter Transparenz zu überzeugen. Besser aufgestellte Unternehmen können ihre Absatzprognosen durch Big Data-Analysen und selbstlernende Algorithmen auf ein völlig neues Level heben.

3. Optimieren Sie die Wiederbeschaffungszeiten!

Bei den Losgrößen in der Fertigung gibt es oft einen Interessenkonflikt. Für die Produktionsplanung bestehen Anreize, durch maximale Auslastung Produktionsstückkosten zu minimieren. Für eine Optimierung des Lagerbestandes ist es aber sinnvoll, die Produktion möglichst flexibel an die Kundenbedarfe anzupassen, was mit möglichst kleinen Losgrößen einhergeht.

Statt Teiloptima aus Produktions- oder Lagersicht zuzulassen, ist hier eine übergreifende Optimierung gefragt. Durch organisatorische Maßnahmen, Anpassungen in den Incentive- und Steuerungssystemen und objektive Entscheidungsgrundlagen sind hier oft spürbare Verbesserungen möglich.

Ansetzen können Sie auch bei den Lieferzeiten Ihrer Lieferanten, indem den Informationsfluss von und zu Ihren Lieferanten verbessern. Durch einen Austausch auf Augenhöhe können Sie gemeinsame Optima finden und etwaige Probleme in der Supply Chain frühzeitig erkennen.

4. Hinterfragen Sie Ihre Service Levels!

Bei welchen Kunden und Produkten ist die Lieferzeit ein entscheidender Differenzierungsfaktor im Wettbewerb? Bei welchen Kunden und Produkten betreiben Sie Underservicing und wo Overservicing?

5. Überdenken Sie Sicherheitsbestände und definieren Sie Ziel-Lagerreichweiten!

Prüfen Sie, ob überhaupt Sicherheitsbestände für die einzelnen SKUs definiert sind, und ermitteln Sie, wie Sicherheitsbestände genutzt werden! Sicherheitsbestände, die nie angegriffen werden, sind versteckte Ladenhüter. Legen Sie zumindest für jene 20 Prozent Ihrer SKU, die 80 Prozent Ihres Lagerbestands ausmachen, anhand der Wiederbeschaffungszeiten, Risiken und Service Levels die Ziel-Lagerreichweiten fest!

Überwachsen Sie laufend, wo Abweichungen zu den Ziel-Lagerreichweiten entstehen, analysieren Sie die Ursachen, und entwickeln Sie daraus laufend Maßnahmen zur weiteren Optimierung! Sowohl die Sicherheitsbestände als auch die Ziel-Lagerreichweiten müssen laufend angepasst werden, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern.

6. Eliminieren Sie Ladenhüter!

Ein wesentlicher Hebel zur Verschlankung von Lagerbeständen ist die Bereinigung Ihres (Lager-)Produktportfolios. Je weniger Lagerartikel Sie haben, desto kürzer sind die Wiederbeschaffungszeiten (Verdichtung von Produktionslosen), desto weniger variiert die Nachfrage (Verdichtung von Bedarfen) und desto einfacher wird das Lagermanagement (Komplexitätsreduktion).

7. Hinterfragen Sie Ihre Lagerstandorte und Konsignationsläger!

Lagerstandorte und Konsignationsläger, aus denen sich Kunden selbst bedienen, wurden oft so gewählt, um durch verbesserte Service Levels neue Kunden zu akquirieren.

Doch es wird oft vergessen, diese historisch gewachsenen Strukturen kritisch auf den Prüfstand zu stellen: Haben diese Kunden noch die gleiche Bedeutung? Wie entwickelt sich der Wettbewerb? Passen die Läger noch zu den logistischen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten Ihres Unternehmens?

8. Definieren Sie Verantwortlichkeiten für Ihre Lagerbestände!

Oftmals fehlen in Unternehmen klare Verantwortungen für die Lagerbestände. Weder die Fertigung noch der Einkauf noch der Vertrieb wird an ihnen gemessen. Dabei müssen gerade in der Optimierung des Lagers laufend Trade-Off-Entscheidungen getroffen werden. Umso wichtiger sind klare Verantwortlichkeiten und Entscheidungsprozesse, um das Ergebnis messen und bewerten zu können.

9. Setzen Sie Steuerungssysteme auf und sorgen Sie für Konsistenz!

Ohne Kostenwahrheit und -transparenz, die auch die Lagerkosten umfasst, können Sie die eines Produkts, Auftrags oder Kunden nicht abbilden. Ohne Informationsfluss fehlen den Verantwortlichen in der Produktionsplanung, der Beschaffung und der Logistik die Grundlagen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Wenn die Incentivesysteme für Fertigung, Einkauf und Vertrieb nicht aufeinander und auf die Ziele des Gesamtunternehmens abgestimmt sind, ist eine Optimierung der Lagerbestände unmöglich.

10. Prüfen und justieren Sie dynamisch nach!

Die Rahmenbedingungen für die Optimierung des Lagers ändern sich laufend. Wiederbeschaffungszeiten werden länger oder kürzer, die Auslastung der eigenen Fertigung steigt oder fällt, die Erwartungen von Kunden verändern sich. Darauf müssen Sie laufend reagieren, und die Parameter immer wieder neu einstellen.

Um Ihr Lager auch in Wachstumsphasen im Griff zu behalten, sind Sie als Manager gefragt!

Lagerstände zu überwachen und laufend zu optimieren ist eine Managementaufgabe unter Einbeziehung des Einkaufs, der Fertigung(-splanung), des Vertriebs und der Logistik. Dafür brauchen Sie Klarheit über Kosten und Verantwortlichkeiten, funktionierende Informationsflüsse und Anreize, die nicht gegeneinander wirken.

Losgrößen der Produktion, Lagerstandorte und Service Levels müssen immer wieder hinterfragt werden, ob sie noch marktgemäß sind. So haben Sie Ihre Läger auch dann im Griff, wenn Ihr Unternehmen wächst.

Weiterführende Informationen finden Sie in unserem Guide “10 Ansatzpunkte für ein schlankes Fertigwarenlager”.

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