Philip Wolfsteiner | Januar 17, 2019

Working Capital: Ist weniger immer mehr?

Endlich schlank!

Abnehmen ist der Evergreen unter den Neujahrsvorsätzen. Und das betrifft nicht nur den überschüssigen Hüftspeck, sondern auch Working Capital Bestände. Viele Unternehmen nehmen den Jahreswechsel als Anlass, um den Working Capital Bestand zu senken. Da will man eine gute Figur machen. Jedoch gilt in beiden Fällen: Auf eine Blitzdiät folgt meist der Jojo-Effekt. Und wenn sich wenige Wochen später die Fitness-Studios wieder leeren und die Läger und Forderungsbestände wieder füllen, sehen die Kennzahlen in beiden Fällen oft trister aus als zuvor.

Schön machen für den Stichtag

Häufig wird in der Unternehmenspraxis der Working Capital Bestand nach wie vor nur zu bestimmten Stichtagen, wie z.B. zum Jahres- oder Quartalsende gemessen und reportet. Diese Art der Stichtagsbetrachtung beschränkt jedoch den Blick auf einen von 365 Tagen im Jahr. Was während der übrigen 364 Tage passiert, bleibt im Dunklen. Die Konsequenz eines derart unzureichenden Steuerungs- und Incentivierungssystems liegt auf der Hand: Alle Funktionen und Entscheidungsträger im Unternehmen sind erpicht darauf, ihr Working Capital zu diesem Stichtag zu optimieren, d.h. zu senken. Läger werden geräumt, Bestellungen verzögert, Zahlungen hinausgeschoben.

Wenn Diäten dick machen

Wie bei so vielen Crash-Diäten stellt sich bei der radikalen Bestandsreduktion auch im Working Capital Management nach kurzer Zeit der Jojo-Effekt ein. Das Working Capital steigt dann schnell wieder auf das Ausgangsniveau oder sogar darüber hinaus und versteckte Kosten machen die Erfolge zunichte. Was man in der Ernährungswissenschaft schon längst weiß, ist auch im Management kein Geheimnis mehr: Die Blitzdiät ist weder nachhaltig, noch gesund. Sie hält sich in der Praxis dennoch ähnlich beständig wie der ungeliebte Hüftspeck.

Die versteckten Dickmacher

Sie fragen sich, wo die Extrakilos nach der Crash-Diät herkommen? Hier zwei Beispiele:

  • Um eine schnelle Zahlung von Seiten der Kunden zu gewährleisten und so den Bestand an Lieferforderungen zu reduzieren, werden großzügig Skonti gewährt. Die Kosten dafür sind jedoch enorm und stehen in keinem Verhältnis zur Verbesserung.
  • Um den Bestand an Fertigwaren zu reduzieren, werden Produktionslose verkleinert. Die dadurch entstehenden Rüstzeiten und -kosten wiegen die geringere Kapitalbindung jedoch mehr als auf.

Gesund und nachhaltig abnehmen

Wie so oft sind vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme am Ende kontraproduktiv. Das heißt aber noch lange nicht, dass Sie auf Ihren Fettpolstern sitzen bleiben müssen. Damit die guten Vorsätze im Working Capital Management nicht nur solche bleiben, gilt: Abspecken – ja, aber nur dort, wo es aus einer betriebswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung sinnvoll ist. Das kann bedeuten, das Working Capital in einem Bereich zu reduzieren, um so die Freiheitsgrade zu schaffen und in einem anderen Bereich bewusst Bestände aufzubauen. So kann es beispielsweise durchaus Sinn machen, im Vormaterial-Lager bei bestimmten SKUs ein Konsignationslager des Lieferanten einrichten zu lassen (und so den Bestand an Working Capital zu reduzieren) und gleichzeitig im Fertigwarenlager die Ziellager-Reichweiten (und somit den Bestand) zu erhöhen, um die Fertigung optimal auszulasten.

Mit einem ganzheitlichen Ansatz zum Erfolg

Im Grunde geht es also darum, sich darüber klar zu werden, welche Maßnahmen mit welchen Nebenwirkungen verbunden sind und entsprechende Trade-off Entscheidungen zu treffen. Es ist wichtig, Optimierungen im Working Capital Bereich nicht isoliert anzugehen, sondern die Gesamteffekte und wechselseitigen Abhängigkeiten klar darzustellen. Um es plastischer auszudrücken: Nur mithilfe eines ganzheitlichen Fitness- und Gesundheitsprogramms, das alle Aspekte Ihrer Konstituierung und Ihres Lebensstils berücksichtigt, werden Sie es schaffen, Ihr Wunschgewicht zu erreichen und zu halten.

Auf die richtige Balance kommt es an

Wie sich Ihr Unternehmenserfolg zu Ihrem Working Capital Bestand verhält und wo sich dabei das Optimum befindet, ist stark Branchen- und Unternehmens-abhängig. Studien wie beispielsweise jene der Universität St. Gallen und der Schweizer Post aus 2018 belegen jedenfalls, dass zwischen dem Bestand an Working Capital und dem Unternehmensergebnis ein umgekehrt U-förmiger Zusammenhang besteht. Zu viel Working Capital ist demnach ebenso kontraproduktiv wie zu wenig – die Kunst besteht darin, das Optimum zu finden:

 

Das Optimalgewicht erreichen

Wie der BMI einen Optimalwert abhängig von der individuellen Konstitution definiert, stellen wir Ihnen mit “Working Capital Excellence” einen Guide zur Verfügung, anhand dessen Sie sich Ihrem optimalen Working Capital Bestand nähern können. Unsere abschließende Empfehlung: Lassen Sie sich vor Stichtagen zu keinen vermeintlichen Quick-fixes hinreißen. Sie werden sich erfahrungsgemäß später rächen. Mit einem ganzheitlichen Ansatz machen Sie das ganze Jahr über eine gute Figur!

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