GCI | November 13, 2018

Wie professionelles Supply Chain Management helfen kann, die Performance zu steigern

Dieser Business Case eines europäischen Gewürzeherstellers, welcher in diesem Blog-Beitrag als FoodFlav bezeichnet wird, soll Ihnen vermitteln, wie wichtig ein dezidierter Fokus auf Supply Chain Management (SCM) ist. Selbst wenn die finanzielle Performance des Unternehmens auf den ersten Blick positiv erscheint, so lassen sich bei genauerem Hinsehen doch signifikante Potenziale identifizieren, welche in der Praxis mit effektivem Supply Chain Management in den häufigsten Fällen gehoben werden können.

FoodFlav ist ein renommierter europäischer Player in der Food Flavour Industrie, mit 500 Mitarbeitern und rund 160 Millionen Euro Umsatz. Mit Blick auf die Wertschöpfungskette lässt sich festhalten, dass das Unternehmen ca. 360 SKUs von über 90 Lieferanten beschafft. In der Distribution der Fertigwaren vertreibt das Unternehmen ca. 4.500 SKUs an ungefähr 5.500 Kunden, fast ausschließlich B2B. Der erheblichen Volatilität im Beschaffungsmarkt wurde versucht, mit großzügigen Sicherheitsbeständen und multiplen Beschaffungsmethoden entgegenzuwirken.

Expandierendes Geschäft erhöht Komplexität und verringert SC Performance

Das Geschäft entwickelte sich über die letzten Jahre durchgehend zufriedenstellend und auch der zukünftige Trend bezüglich Wachstum und Umsatz zeigte deutlich nach oben. Das Wachstum hatte aber auch seinen Preis, welcher langsam begann, sich in der Performance durchzuschlagen: erhöhte Komplexität. Durchschnittlich erweiterte das Unternehmen seinen geographischen Scope um ein Land pro Jahr. Dieses geographische Wachstum resultierte in neuen Logistik Herausforderungen wie erhöhten Produktions- und Transportvolumina, einem weiten Spektrum an Kundenanforderungen und erhöhter Unvorhersehbarkeit der Nachfrage. Gleichzeitig erhöhte sich auch das Produktportfolio um durchschnittlich 300 SKUs pro Jahr. Auch dieser Umstand trieb die Komplexität in Form von kürzeren Produktlebenszyklen, einem breiteren Spektrum der benötigten Roh- und Verpackungsmaterialien und auch hier erhöhter Unvorhersehbarkeit der Nachfrage.

Die oben beschriebenen Entwicklungen führten dazu, dass der Umsatz zwar weiterhin stieg, die operative Performance und letztendlich auch die Marge aber sank. In folgenden Dimensionen spiegelte sich die verbesserungswürdige operative Performance wider:

  • Forecast-Genauigkeit: Diese Kennzahl beschreibt die Überschneidung von prognostizierten und tatsächlichen Absatzmengen. Hier erreichte das Unternehmen 48%, was einen sehr unterdurchschnittlichen Wert darstellt.
  • Lieferperformance: Diese wurde anhand der Out-of-Stock- und der Zustellrate quantifiziert. Die Out-of-Stock-Quote betrug zum damaligen Zeitpunkt 6%, was bedeutete, dass 6% aller Bestellungen nicht aus dem Lager bedient werden konnten. In einer Industrie, die aufgrund von sehr langen Beschaffungsvorlaufzeiten hauptsächlich auf MTS (Make-to-Stock) ausgerichtet ist, bedeutet das erhebliche Lieferverzögerungen. Die Zustellrate lag bei 93,5%. Das heißt, dass 93,5% aller Bestellungen innerhalb des versprochenen Servicelevels durchgeführt werden konnte.
  • Lagerbestand: Der Warenwert der Lagerbestände betrug ungefähr 28% des Umsatzes, was aus Sicht des Managements Anlass zur Verbesserung lieferte.
  • Pönale: In Relation zum Unternehmensumsatzes betrug die Summe der Pönale 2%, welche hauptsächlich aus Verfehlung von Lieferzielen resultierten.

Ad-hoc Maßnahmen bringen keine nennenswerte Entlastung

Die einzelnen Unternehmensbereiche gaben in der Folge ihr Bestmögliches, um die Performance zu verbessern:

Der Fokus in der Beschaffung lag fortan, noch mehr als sonst, auf dem Einkaufspreis. Um die Einkaufspreise so niedrig wie möglich zu gestalten, wurde die Beschaffung von signifikanten Mengen garantiert, was logischerweise zu suboptimalen Rohmateriallagerständen führte.

Die Produktion versuchte, die Kosten zu senken, indem sie die Losgrößen maximierte. Das führte ohne Zweifel zu einer Senkung der durchschnittlichen Stückproduktionskosten, im selben Zug aber auch zu hohen Fertigwarenlagerbeständen und einer Verschlechterung der Out-of-Stock- und Zustellrate, da die vom Kunden nachgefragten Produkte immer seltener vorrätig waren.

Vertriebsseitig versuchte man die Out-of-Stock Situationen zu reduzieren und erhöhte die definierten Sicherheitsbestände für sämtliche SKUs. Dies ließ sich aber mit der kosteneffizienten Produktionsplanung nicht realisieren, da die maximierten Losgrößen die Produktionskapazitäten mit einer bestimmten SKU für längere Zeit blockierte. Überspitzt formuliert, hatte das Unternehmen von manchen SKUs riesige Lagerbestände, während die Lagerbestände von anderen SKUs fortlaufend weniger wurden.

Gesamthaftes Supply Chain Improvement Program (SCIP) adressiert Probleme zielgerichtet in fünf Punkten

Da das FoodFlav Management schnell erkannte, dass mit der momentanen Organisation die Probleme nicht effektiv angepackt werden konnten, entschied man sich, eine zentrale Supply Chain Management Abteilung zu installieren, um die Performance nachhaltig und bereichsübergreifend auf ein neues Level zu heben. Sämtliche Vorteile eines ganzheitlichen Ansatzes können auch dem GCI Supply Chain Management Whitepaper entnommen werden.

 

Abbildung 1: SC Framework

Zusätzlich zur Einführung der Supply Chain Management Abteilung wurde auch ein fünf Punkte Plan entwickelt, der sicherstellen sollte, dass sich die Performance in die richtige Richtung entwickelt:

  • Zentrales Forecasting: Das Management des Unternehmens erkannte die elementare Bedeutung von Forecasting, weshalb sie sich entschloss, das Thema aktiv anzugehen. Das Ziel war es, die Forecast-Genauigkeit zu verbessern, um die Variabilität in den Unternehmensprozessen zu reduzieren und somit Potenziale zu heben. Es wurde eine zentrale Forecasting-Unit installiert, deren Aufgabe es war, unter Anwendung adäquater mathematischer Modelle monatlich für jedes Land rollierende Forecasts zu erstellen. Die dafür benötigten Daten wurden von den lokalen Vertriebseinheiten geliefert. Wie wichtig akkurates Forecasting für die operative Performance eines Unternehmens ist, kann nicht oft genug betont werden. Handlungsempfehlungen für die Entwicklung eines qualitativen Forecasts können Sie unserem Blog-Beitrag entnehmen.
  • Implementierung eines effektiven KPI Reportings: Das Management identifizierte und definierte KPIs, welche einen maßgeblichen Einfluss auf Vorlaufzeiten und Outputs der FoodFlav Lieferkette haben. Ebenso wurde ein Monitoring aufgesetzt, welches die Zielerreichung der KPI Werte zeitnah verfolgte.
  • Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR) mit strategisch wichtigen Kunden: Ein CPFR Projekt mit ausgewählten strategischen Kunden wurde aufgesetzt. Das Ziel des Projektes war es, durch einen intensivierten Informationsaustausch die Qualität der Daten signifikant zu steigern. Niederschlagen sollte sich die Verfolgung dieses Ansatzes in Verbesserung der Lieferperformance bei gleichzeitiger Reduktion der Lagerbestände.
  • Verursachungsgerechte Kostenrechnung: Diese rückte in den Fokus, da das Produktportfolio über die Jahre stetig wuchs und damit auch die Komplexität sämtlicher Prozesse. Das Unternehmen setzte sich zum Ziel, alle Kosten entlang der Wertschöpfungskette, von der Beschaffung bis zur Distribution adäquat zuzuordnen, um eine wahrheitsgetreue Deckungsbeitragsrechnung zu gewährleisten. Um potentielle Änderungen auf der Angebotsseite (z.B. in Form von Portfoliobereinigungen) adäquat durchführen zu können, ist es von essentieller Bedeutung, die angefallenen Kosten verursachungsgerecht auf die Produkte aufzuteilen.
  • Lead Time Controlling: Da der zeitliche Aspekt immer im Zentrum von Supply Chain Überlegungen steht, definierte FoodFlav optimale Durchlaufzeiten der kritischen Unternehmensprozesse und verglich diese regelmäßig mit den tatsächlich erreichten. Abweichungen vom Soll-Wert sollten eingehend analysiert und nach Möglichkeit korrigiert werden.

Der Erfolg bestätigt den umfassenden SCM-Ansatz – Problemlage nachhaltig entschärft

Zwei Jahre nach der Implementierung von ganzheitlichem Supply Chain Management und der Definition des fünf Punkte Plans konnten erhebliche Performanceverbesserungen erreicht werden. Rufen wir uns die Dimensionen anhand welcher die bestehenden Probleme quantifiziert worden waren in Erinnerung und vergleichen wir sie mit den Werten die aus den Anpassungen im Unternehmen resultierten.

  • Forecast-Genauigkeit: Die Forecast-Genauigkeit konnte von 43% auf 62% gesteigert werden. Die Zentralisierung der Forecasting-Unit und der enge Informationsaustausch mit Kunden trugen hier Früchte. Beide Maßnahmen halfen dabei, die Zuverlässigkeit der Daten zu verbessern und die Variabilität des Forecasts zu reduzieren, woraus signifikante Potenziale gehoben werden konnten.
  • Lieferperformance: Hier konnten signifikante Verbesserungen erzielt werden. Während die Out-of-Stock-Quote von 6% auf 3,2% reduziert werden konnte, wurde bei der Zustellrate eine Steigerung auf 97,4% erreicht. Auch dieser Anstieg der Performance lässt sich auf die deutliche Steigerung der Forecast-Qualität und der engen Zusammenarbeit mit den Kunden zurückführen.
  • Lagerbestände: Der Warenwert der Lagerbestände konnte von 25 Millionen Euro auf 20 Millionen Euro gesenkt werden. Das mag auf den ersten Blick ganz passabel erscheinen, noch beeindruckender erscheint es aber, wenn man den Warenwert in Relation zum Umsatz betrachtet. Da im untersuchten Zeitraum auch der Umsatz gesteigert werden konnte, betrug der Warenwert der Lagerbestände in Relation zum Umsatz 16%. Zur Erinnerung: vor den strukturellen und operativen Anpassungen betrug dieser 28%, was bedeutet, dass der zum Umsatz relative Lagerbestand fast halbiert werden konnte.
  • Pönale: Die verbesserte Lieferperformance trug logischerweise auch zu einer Senkung der Pönale bei. Da das Serviceversprechen an den Kunden nun in den meisten Fällen gehalten werden konnte, reduzierte sich der Anteil der Pönale vom Gesamtumsatz von 2% auf 0,2%.

FAZIT: Was kann man aus der Case Study an Wissenswertem extrahieren? Aus unserer Sicht zwei Key Learnings:

  • Ein ganzheitlicher SCM-Ansatz ist DIE Grundvoraussetzung für Problemerkennung und Problembehebung. Wenn man versuchen möchte, die operative Performance seines Unternehmens nachhaltig zu steigern, ist absolutes Commitment und die konsequente Umsetzung von Supply Chain Management DIE Grundvoraussetzung für Erfolg. Bei gewissenhafter Umsetzung sind die Früchte, die es zu ernten, gibt dafür groß, selbst in komplexen und volatilen Unternehmensumfeldern.
  • Unter allen Ingredienzien eines SCM ist ein zuverlässiger Forecast kriegsentscheidend für operativen Erfolg. Die negativen Auswirkungen eines minderwertigen Forecasts auf sämtliche Unternehmensbereiche haben wir in der Ausgangssituation beschrieben. Unzutreffende Forecasts führen zu falscher Ressourcenallokation und diese wiederum zu erhöhten Kosten und geringerer Qualität. Einer der ersten Schwerpunkte eines SCIP sollte daher immer eine Verbesserung des Forecasts sein. Ein treffsicherer Forecast hilft, bessere und optimalere Entscheidungen zu treffen.

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