Philip Wolfsteiner | November 20, 2018

So verankert ein global Player mit Big Data Analysen Debitorenmanagement in seiner Vertriebsorganisation

Für einen Lieferanten qualitativ hochwertiger und individuell angepasster Komponenten ist Nähe zum Kunden unabdingbar. Dadurch wächst jedoch in vielen Fällen über organische und akquisitorische Aktivitäten eine heterogene Vertriebsstruktur heran, in der effizientes Debitorenmanagement zur Herausforderung wird. So auch bei einem unserer Klienten in der Metallindustrie: Das Unternehmen betreut und beliefert industrielle Weiterverarbeiter über eigene Vertriebsbüros auf allen Kontinenten. Es trat mit dem Problem wachsender Forderungsbestände gegenüber seinen Kunden an uns heran. Eine tiefgehende Analyse der Zahlungsströme lieferte erstaunliche Insights, auf Basis derer Verbesserungsmaßnahmen sowohl auf strategischer als auch auf Einzelkunden-Ebene ergriffen wurden.

Wo lag die Herausforderung?

Forderungsbestände gegenüber Kunden haben die Tendenz, über Zeit laufend anzusteigen und der Vertrieb hat die besten Argumente, warum das so sein muss. Genau vor diesem Problem stand auch unser Klient. Mit der zusätzlichen Herausforderung, dass er über eine sehr dezentral geführte und über den gesamten Globus verteilte Vertriebsorganisation verfügt. Der technologische Weltmarktführer in einzelnen Produktbereichen der Metallverarbeitung beliefert Industriekunden aus der Automobil-, Flugzeug-, Werkzeugbau-, Öl & Gas-Branche und erwirtschaftet damit einen Umsatz von > 1 Mrd. EUR.

Trotz des zum Zeitpunkt des Projekts sehr niedrigen Zinsniveaus wurde Working Capital Management von der Unternehmensführung als ein wesentlicher Aspekt der weiteren Performance Optimierung identifiziert. Es hatte sich gezeigt, dass die einzelnen Vertriebsunits sehr unterschiedliche Leistungsniveaus im Debitorenmanagement aufwiesen, was sich in unterschiedlich hohen Forderungsbeständen, Skonto-Kosten aber auch Forderungsabschreibungen niederschlug. Da sämtliche Vertriebstöchter zentral finanziert wurden, schlugen diese Finanzierungsbedarfe, Kosten und Risiken unmittelbar auf die Gesamtgruppe durch. Vor diesem Hintergrund wurde das historische Zinstief auch als Chance begriffen, um Änderungen in den Zahlungskonditionen auf der Kundenseite leichter umzusetzen.

Nachdem das Thema Debitorenmanagement also sowohl vor dem Hintergrund finanzieller Aspekte als auch unter Risikomanagement-Gesichtspunkten von Seiten des CFO auf die Agenda gehoben wurde, stellten sich eine Reihe von Herausforderungen:

  • Wie kann ein effizienter Ansatz gefunden werden, mit dem alle weltweit präsenten Vertriebsunits in das Verbesserungsprogramm einbezogen werden können, ohne die Organisation für Wochen und Monate zu lähmen?
  • Wie kann sichergestellt werden, dass alle verfügbaren Hebel vor Ort optimal genutzt werden und sich niemand aus der Verantwortung nimmt?
  • Wie wird dennoch ausreichend auf lokale Spezifika Rücksicht genommen und nicht alle Einheiten über einen Kamm geschoren?
  • Wie kann der Umsetzungsfortschritt sauber nachverfolgt und eine Nachhaltigkeit der Maßnahmen erzielt werden?

Wie sah die Lösung aus?

Wie also intelligent an das Thema Forderungsmanagement herangehen?

Im Debitorenmanagement haben Sie einen großen Vorteil: in der Regel sitzen Sie auf einem äußerst wertvollen Datenschatz! Da üblicherweise sämtliche Rechnungs- und Zahlungstransaktionen im ERP-System erfasst werden, haben Sie genau jene Informationen verfügbar, die für ein effektives Debitorenmanagement notwendig sind. Ein ideales Anwendungsgebiet für Big Data Analysen in jedem Unternehmen.

Im konkreten Fall gingen wir zunächst daran sämtliche Zahlungsströme des letzten Geschäftsjahres zu analysieren. Der von uns entwickelte Analyse-Algorithmus lieferte dabei aus den Tiefen von mehreren 100.000 Zahlungen erstaunliche Erkenntnisse zu Tage – hier ein paar Beispiele:

  • Die gewährten Zahlungskonditionen sind häufig nicht durch objektivierbare Parameter (wie zB Kundengröße, -branche, Herkunftsland) erklärbar – Hypothese: Zahlungskonditionen sind historisch und unsystematisch gewachsen und wurden keinem regelmäßigen Review unterzogen
  • Vergleichbare Kunden (Branche, Verhandlungsmacht) werden von den Vertriebsunits hinsichtlich Zahlungsfristen unterschiedlich behandelt – Hypothese: Debitorenmanagement steht unterschiedlich stark im Management-Fokus
  • Ein externer Benchmark-Vergleich zeigt, dass in vielen Ländern für die Region untypisch hohe Überfälligkeiten vorherrschen – Hypothese: Cash-In- und Mahnprozesse sind in den Vertriebstöchtern unterschiedlich straff organisiert
  • Skontokonditionen verursachen Finanzierungskosten in Höhe eines mittleren einstelligen Millionenbetrags – Hypothese: Skonti wurden aus Hochzins-Phasen mitgenommen – jetzt ist der richtige Zeitpunkt sie los zu werden

Doch die Analysen bringen nicht nur Insights auf der Meta-Ebene – richtig durchgeführt liefern sie auch gleich die optimalen Maßnahmen auf Ebene des einzelnen Kunden mit.

Was war das Ergebnis?

So auch bei unserem Klienten. Sämtliche Analysen wurden innerhalb von 3 Wochen durch ein kleines zentrales Team aus 2-3 Personen durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen klar für jede Vertriebseinheit die Schwachstellen und quantifizierten Verbesserungspotenziale auf. Mit diesem Instrument an der Hand können sich die verantwortlichen Manager in den dezentralen Units daran machen, die Potenziale zu heben. Eine klare Zielvorgabe auf Kunden-Ebene ermöglicht es den Umsetzungsgrad der Maßnahmen im Detail nachzuhalten und Effekte eindeutig messbar zu machen. Parallel dazu werden einige der Analysen in ein laufendes Working Capital Controlling übernommen und eine nachhaltige Steuerung des Working Capital Bestandes sichergestellt. In Summe konnte so ein zweistelliger Millionenbetrag an Liquiditätspotenzialen im Debitorenmanagement identifiziert und in die Umsetzung geschickt werden. Darüber hinaus wurden ergebniswirksame Skonto-Potenziale im einstelligen Millionenbereich gehoben.

Mehr dazu wie die Analysen funktionieren und wie man ein WCM-Projekt erfolgreich aufsetzt, finden Sie in unserem umfassenden Whitepaper “Guide to Working Capital Excellence”.

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