Walter Maderner | Februar 25, 2020

Wie viel Mehrkosten sind Ihnen kurze Lieferzeiten wert?

Für den Großteil der Industrieunternehmen mit internationalen Distributionsorganisationen lautet die Antwort: Viel. Denn die Industrie lässt sich kurze Reaktions- bzw. Lieferzeiten einiges kosten und nimmt dafür teure Distributionsnetzwerke in Kauf. Ist das auch immer rational begründet? Keinesfalls. In der Beratungspraxis sehen wir zwei typische Fehler bei der Ausgestaltung von Netzwerken: Client Pleasing zum einen und die Standortwahl nach föderalistischen statt logistischen Gesichtspunkten zum anderen. Wir decken beide auf.

Geduld ist keine Tugend unserer Zeit

In Zeiten, in denen kürzeste  Lieferzeiten im Versandhandel als Selbstverständlichkeit gelten und die Overnight-Delivery oftmals der entscheidende Wettbewerbsvorteil ist, sieht sich auch die Industrie unter Druck, Reaktionszeiten zu minimieren. Dabei wird jedoch oft vergessen, dass es im Versandhandel einen KPI gibt, dem in der produzierenden Industrie vergleichsweise geringe Bedeutung zukommt – die Retourenquote. Im B2C-Geschäft gilt: Je länger Kund:innen auf die Lieferung warten, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie vom Vertrag zurücktreten, sprich, nach Anlieferung, die Ware retournieren. Insofern ist es für den Versandhandel ein durchaus sinnvolles Bestreben, Reaktions- und Lieferzeiten so kurz wie möglich zu halten und die Distributionsnetzwerke entsprechend kundennah auszugestalten.

Schnell ist gut, effizient ist besser

Nun sind schnelle Prozesse natürlich auch im Industriekontext von Vorteil, aber manchmal ist das Bündeln von Aufträgen die effizientere Lösung. Es gilt, einen vernünftigen Trade-off zwischen Kundenzufriedenheit und Kosteneffizienz zu finden. Und dieser Trade-off geht unserer Erfahrung nach oftmals zugunsten einer Übererfüllung von Kundenbedürfnissen auf Kosten der Logistikbudgets aus. In der Beratungspraxis finden wir die Gründe dafür immer wieder in zwei typischen Fehlern:

1. Client Pleasing durch zugestandene Reaktionszeiten
Die Kundenzufriedenheit steht an oberster Stelle der Vertriebsziele. Entsprechend nachvollziehbar sind die zwei wesentlichen Interessen des Vertriebs, wenn es um Supply Chain Management geht: Eine ausreichende Bevorratung und kurze Liefer- bzw. Reaktionszeiten. Beides führt jedoch zu hohen Kosten, für die der Vertrieb oftmals nicht verantwortlich ist und am Ende das Supply Chain Management gerade stehen muss. Das Problem hoher Sicherheitsbestände aufgrund von Client Pleasing haben wir in diesem Artikel bereits diskutiert. Neben den Verfügbarkeiten werden aber auch Reaktionszeiten meist durch den Vertrieb vorgegeben und zu wenig kritisch hinterfragt. Die Folge: Überproportional hohe Distributionskosten durch mehr Lagerstandorte. Denn je kürzer die Reaktionszeit, desto mehr Standorte braucht es, um Transportwege möglichst kurz zu halten, und desto mehr Kapital ist gebunden. Insgesamt führt das zu immensen Mehrkosten, die durch die tatsächlichen Ansprüche von Kund:innen in vielen Fällen nicht gerechtfertigt sind. Anders als im Versandhandel kann es im Industrieumfeld durchaus sein, dass Ihnen Ihre Kund:innen 1-2 zusätzliche Liefertage verzeihen würden, ohne dass Sie dabei einen Auftragsverlust oder Vertragsrücktritt befürchten müssten.  Entscheidend ist die Zuverlässigkeit mit dem die zugesagte Lieferzeit eingehalten wird. Die Planbarkeit der Wareneingänge ist für die Kunden das A&O. Sie könnten durch die gewonnene Lieferzeit wiederum erhebliche Kosten einsparen und möglicherweise sogar gesamte Lagerstandorte. Um das herauszufinden, gilt es ein tiefgreifendes Verständnis für die Anforderungen und Bedürfnisse der eigenen Zielgruppe zu entwickeln:

  • Was ist der marktübliche Standard bei Lieferzeiten in Ihrem Bereich?
  • Inwiefern erfüllen Sie diese Marktanforderungen mit Ihren bestehenden Prozessen und Organisationsstrukturen?
  • Gibt es eine alternative Distributionslösung, die bei gleicher Verfügbarkeit Kosteneinsparungen möglich machen würde?

2. Föderalistische Standortwahl
Oft scheitert das Vorhaben, kostenoptimale Distributionsnetzwerke zu entwickeln, am Widerstand des Länder-Vertriebs. Die Standortwahl erfolgt dann vielmehr nach föderalistischen Kriterien, als nach logistischen. In diesen Fällen bekommen Länderorganisationen eigene Lager, die aus Sicht der Supply Chain keinen Sinn machen. Dann werden beispielsweise Aufträge aus Südfrankreich von einem Pariser Lager beliefert, obwohl der Transportweg von einem spanischen Lager in Barcelona nur halb so weit wäre. Nach logistischem Verständnis würden die kalkulierten Lieferrouten die Standorte bestimmen. In der Praxis ist es allerdings oft der Vertrieb, der sich durchsetzt.

Schlussendlich steht außer Frage, dass die Service Levels im Sinne von Verfügbarkeiten und Reaktions- bzw. Lieferzeiten ausschlaggebend für die Kundenzufriedenheit und den nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens sind – im Versandhandel genauso wie in der Industrie. Dennoch gilt es sorgfältig abzuwägen, ob Zugeständnisse an die Kund:innen aufgrund von tatsächlichen Marktforderungen oder vertriebsseitigen Interessen heraus gemacht werden. Letzteres könnte hohe Mehrkosten bei geringem bis keinem Mehrwert zur Folge haben. Eine Situation, die angesichts der zunehmenden Wettbewerbsverschärfung immer schwerer tragbar wird. Das kritische Hinterfragen Ihrer Distributionsnetzwerke könnte sich also durchaus lohnen.

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