Andreas Frischherz | März 8, 2023

Market Intelligence in der Praxis: Zwischen Chance und Ernüchterung

Im effektiven Wissensmanagement liegt ein enormes Erkenntnispotenzial. Trotzdem bleiben in den meisten B2B-Unternehmen die Köpfe der Mitarbeiter*innen die zentrale Datenquelle. Das stellten wir auch bei einem unserer Kunden in der produzierenden Industrie fest. Zwar wurde dort im Zuge einer konzernweiten Maßnahme ein CRM-System eingeführt, die erhofften Erkenntnisgewinne blieben allerdings aus. Aus unserer Beratungserfahrung wissen wir: Dieser Fall steht beispielhaft für die Realität in vielen B2B-Unternehmen, in denen die Euphorie über moderne Marktinformationssysteme immer mehr der Ernüchterung weicht. Das liegt selten an der Software und oft am Umgang damit.

Wer im B2B-Geschäft eine verlässliche Entscheidungsbasis haben will, muss sie selbst erarbeiten. Denn anders als im B2C-Bereich gibt es typischerweise keine passenden, allgemein zugänglichen Marktinformationen. Dafür sind die Anwendungsmärkte zu stark ausdifferenziert, die Informationsbedarfe dadurch zu spezifisch. Das haben wir auch hier bereits festgestellt. Marktinformationssysteme von der Stange werden den Anforderungen von B2B-Unternehmen deshalb nur selten gerecht. Es bleibt Aufgabe jedes einzelnen Unternehmens, konkrete Informationsbedarfe zu definieren, Datenquellen zu identifizieren und entsprechende Informationssysteme zu gestalten und zu implementieren. Der Relevanzbereich variiert dabei von Unternehmen zu Unternehmen, die Analyseeinheit bleibt gleich: Im B2B-Bereich kann meist nur ausgehend vom Einzelkunden auf den Gesamtmarkt geschlossen werden.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Für ein tiefgehendes Verständnis von Bedarfs- und Wettbewerbsdynamiken braucht es zunächst strukturiertes Wissen auf Einzelkundenebene. Das hatte unser Kunde zum Zeitpunkt des Projektstarts bereits erkannt. Der Produzent von Industrieprodukten führte deshalb schon Jahre zuvor ein CRM-System ein. Welches Ziel damit allerdings genau verfolgt werden sollte, hatte sich allerdings nie bis zu den Mitarbeiter*innen durchgesprochen, die ihr Wissen in das System einpflegen. 

Ein häufiger Fehler, der oft zur Folge hat, dass Marktinformationssysteme entweder gar nicht genutzt oder mit Daten gefüttert werden, die nicht vergleichbar und/oder irrelevant sind. Auf dieser Basis können die Informationen nicht zu einem sinnhaften Gesamtbild aggregiert werden – genau darin würde jedoch das große Erkenntnispotenzial solcher Systeme liegen. Denn wer es schafft, von der Summe einzelner Kundenrealitäten auf das große Ganze zu schließen, kann das eigene Unternehmen zielgerichteter steuern. Strategische Fragestellungen in Bezug auf künftige F&E-Aktivitäten, Weiterentwicklung von Produkt- und Serviceangeboten, Vertriebsmanagement und Pricing können damit faktenbasiert beantwortet werden.

Was kann man wissen?

Um ein Marktinformationssystem zu entwerfen, das im eigenen Unternehmen einen Mehrwert schaffen kann, muss zunächst der konkrete Informationsbedarf abgesteckt werden. Welche Fragen sollen mithilfe von Market Intelligence beantwortet werden? Dabei handelt es sich um eine grundlegende und keineswegs triviale Aufgabe. Wer den Rahmen zu eng fasst, schmälert den eigenen Wissenshorizont. Umgekehrt können die gesammelten Informationen bei zu breit angelegten Fragen vage und wenig aussagekräftig sein. Bei unseren Beratungsprojekten gehen wir dabei schrittweise vor – im kostenlosen Download finden Sie dazu einen Phasenplan mit klaren Stage-Gates.

Sobald die relevanten Fragen definiert sind, gilt es, ein gemeinsames Verständnis darüber im Unternehmen zu etablieren. Bringen Sie Ihren Kolleg*innen den strategischen Hintergrund von Market Intelligence Initiativen näher. Denn ohne zu wissen, welchen Nutzen ein Marktinformationssystem erfüllen soll, ist es schwierig, einen motivierten und konsequenten Umgang damit zu entwickeln. Idealerweise gelingt es, klar zu machen, dass durch professionelles Wissensmanagement nicht nur das Gesamtunternehmen profitiert, sondern auch die bzw. der einzelne Mitarbeiter*in: Ein gepflegtes CRM-System kann beispielsweise ein wertvolles Unterstützungstool sein, um zielgerichtetere vertriebliche Betreuungskonzepte zu entwerfen und damit die Kundenprofitabilität zu erhöhen. Neben der klaren Kommunikation helfen weitere operative Stellhebel, die aktive Nutzung von neuen Tools zu erhöhen. Ziel- und Incentive-Systeme können dabei gerade in der Aufbauphase Enabler sein.

Abschied von der Utopie

Sie sehen schon: Ein Marktinformationssystem ist kein Selbstläufer. Der Grund für die zunehmende Ernüchterung darüber besteht in den meisten Fällen in der Annahme, dass es mit der Einführung einer neuen Technologie bereits getan ist. Fakt ist allerdings, dass dem System an sich nur eine marginale Bedeutung zukommt. Entscheidend ist vielmehr die unternehmensweite Bereitschaft, Wissen zu teilen und den strategischen Zielsetzungen gemeinsam entgegenzuarbeiten. Das ist heute erfolgsentscheidender denn je, weil die aktuellen Marktbedingungen den Unternehmen ein hohes Maß an strategischer Flexibilität abverlangen.

Wie sich das erreichen lässt, hängt von der individuellen Unternehmenssituation im Einzelfall ab. An unserem Kundenbeispiel hat sich gezeigt, dass ein vorgefertigtes CRM-System dafür nicht immer und immer weniger ausreicht. Damit konnten zwar transaktionsbezogene Daten gesammelt werden, die strategische Perspektive kam allerdings zu kurz. Deshalb entschied sich unser Kunde schlussendlich für die Eigen-Entwicklung eines eigenen webbasierten Tools, um die für das Unternehmen relevanten Informationen strukturiert ablegen und auswerten zu können.

Damit bestätigt sich am Ende vor allem eines: Wissensmanagement ist Maßarbeit. Informationsbedarfe und verfügbare Datenquellen unterscheiden sich im B2B-Bereich von Unternehmen zu Unternehmen. Die technologische Infrastruktur muss so konzipiert werden, dass sie innerhalb dieser Rahmenbedingungen den höchsten Informationsnutzen schaffen kann. Ihre Rolle sollte aber nicht überschätzt werden. 

Inwieweit das Potenzial eines Marktinformationssystems ausgeschöpft werden kann, hängt von den Menschen ab, einerseits von der Führung, die die Systemnutzung laufend einfordert, als auch andererseits von denen, die damit arbeiten und wie sie es in ihre täglichen Workflows integrieren. Darum gilt hier wie so oft: Leadership ist der Erfolg.

 

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