Philip Wolfsteiner | Oktober 7, 2021

Market Intelligence in der Praxis: Ermittlung des Marktpotenzials

Man sieht, was man sehen will. Wer das weiß, hinterfragt Wachstumspotenziale besonders dann, wenn sich der Markt scheinbar zum eigenen Vorteil entwickelt. Denn hinter dem Schleier der eigenen Erfolgserwartungen verbirgt sich oft ein differenziertes Bild der Wirklichkeit. So war es auch im Fall eines Herstellers von Werkzeugen, die für die Fertigung von Photovoltaik-Anlagen genutzt werden. Der Kapazitätszuwachs bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wirkte sich zwar positiv auf den Absatz von Solarzellen aus. Allerdings zeigte eine tiefgehende Potenzialanalyse gegenläufige Dynamiken auf, die die Wachstumschancen unseres Klienten wesentlich minderten. Wie wir dabei vorgegangen sind, erfahren Sie hier.

Ein Industriekonzern steht vor der Überführung eines Joint Ventures ins eigene Eigentum. Zweck des bis dahin partnerschaftlich geführten Unternehmens ist die Produktion von Werkzeugen, die für die Herstellung von PV-Anlagen benötigt werden. Zum Zeitpunkt seiner Gründung boomte der Markt für das Solarzellen, was einen weltweiten Nachfrageüberhang zum Ergebnis hatte.

Auf einem wachsenden Markt ist man nicht lange allein

Wenige Jahre später führte eine Änderung des Förderregimes für Ökostromanlagen zu einem Nachfragerückgang bei PV-Anlagen. Zwar durfte man davon ausgehen, dass die Energiewende dadurch allenfalls entschleunigt aber keineswegs gestoppt werden würde, jedoch spitzte sich die Situation auch aufgrund anderer Faktoren zu: Angelockt vom Rekordwachstum der vorangegangenen Jahre drängten neue Anbieter auf den Markt. Besonders aus dem asiatischen Raum schwemmten niedrigpreisige Alternativen den Zulieferbereich. Innerhalb kurzer Zeit kam es dadurch zu einer massiven Reduktion des Preisniveaus auf lediglich rund ¼ des Ausgangsniveaus, was den ursprünglichen Business Plan zunehmend gefährdete.

Als langjähriger Partner des Industriekonzerns wurden wir damit beauftragt, zu eruieren, ob das als Joint Venture gegründete Werk über den Zeitraum der folgenden vier Jahre wirtschaftlich tragfähig sein würde. Wir stellten eine Potenzialanalyse an, um

  • die Wachstumschancen am Zuliefermarkt zu bewerten,
  • alternative Absatzmöglichkeiten aufzuzeigen und
  • Maßnahmen zur Kostensenkung zu ermitteln.

Vom kleinen Einzelnen zum großen Ganzen

Zunächst galt es, die einzelnen Nachfragetreiber am Markt zu identifizieren, um dann ein gesamthaftes Bild des Marktpotenzials zu erhalten. Es stellte sich heraus, dass eine Vielzahl an – teils gegenläufigen – Einflussfaktoren die Marktentwicklung bestimmen:

  • Kapazitätszuwachs bei Strom aus erneuerbaren Energien
    Trotz Förderkürzungen war für die PV-Anlagen über die folgenden vier Jahre eine positive Marktentwicklung vorherzusehen. Diese Prognose war auch vom erwartbaren Nachfragewachstum in den Schwellenländern getragen.
  • Überdurchschnittliche Leistungssteigerungen bei PV-Modulen
    Hohe Effizienzgewinne bei Solarzellen hatten einen negativen Effekt auf die Nachfrage im Zulieferbereich. Der Kapazitätszuwachs konnte mithilfe immer weniger Zellen erzielt werden. Somit wurden auch weniger Werkzeuge für die Herstellung benötigt.
  • Laufende Effizienzgewinne in der Produktion von Modulen
    Ständiger technologischer Fortschritt führte zu einem effizienteren Werkzeugeinsatz in der Herstellung der PV-Module. Auch das wirkte sich negativ auf die Nachfrage nach dem Produkt unseres Klienten aus.
  • Substitution durch neue Technologien
    Innovative Alternativ-Werkzeuge schmälerten das erwartbare Wachstum zusätzlich. Neue Technologien ermöglichen einen zigfach geringeren Werkzeugverbrauch verglichen mit bestehenden Methoden. Die Kosten dafür waren zum Analysezeitpunkt zwar noch unverhältnismäßig hoch, allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis diese neue Technologie die herkömmlichen Methoden verdrängen würde.

Am Ende sah man, was man am Anfang nicht sehen wollte: Eine Entwicklung am Zuliefermarkt, die über die folgenden vier Jahre bestenfalls stagnieren würde. Trotz des vielversprechenden Wachstums am Markt für PV-Module sah sich unser Klient als Werkzeug-Zulieferer bescheidenen Erfolgsaussichten gegenüber. Dieser Fall zeigt die Tücken der Potenzialanalyse auf, indem er deutlich macht, wie vielfältig die Einflussfaktoren auf die Entwicklung am relevanten Markt sein können und wie komplex ihre Wirkungszusammenhänge. Die gute Nachricht ist: Wer sich ein realistisches Bild von den eigenen Marktchancen macht, kann zielführender navigieren. Unser Klient bietet sein Produkt heute auch für alternative Anwendungen an. Die Ermittlung anderer potenzieller Absatzmärkte war ebenfalls Teil unserer damaligen Zusammenarbeit. Nicht zuletzt aufgrund des weitsichtigen Planungshorizonts und der analysebasierten Unternehmenssteuerung unseres Klienten leistet das Unternehmen heute einen positiven Beitrag zum Gesamterfolg des Konzerns. Wir gratulieren!

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