Kostenexplosion und Preisstarre: Die produzierende Industrie tappt in die Margenfalle
Die rapide steigende Inflation wird zum Stresstest für die produzierende Industrie. Rohstoff- und energieintensive Branchen sind von der derzeitigen Preisentwicklung besonders betroffen: Ihre Beschaffungskosten explodieren während sie das Margenrisiko nicht weiterreichen können. Denn die wenigsten Industrieunternehmen sind in der Lage, kurzfristig Preiserhöhungen durchzusetzen. Der Rest landet in der Margenfalle. Dort kommt es wie nirgends sonst auf ein professionelles Beschaffungs- und Preismanagement an. Wer das nicht hat, steht schnell nackert da.
Wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer ohne Badehose schwimmt. Das sagte Warren Buffett einst und meinte damit, dass sich Managementdefizite oft erst im Krisenmoment zeigen. Bei einer Inflationsrate von fast sieben Prozent und der aktuellen Vervielfachung von Rohstoff- und Energiepreisen könnte das Wasser niedriger nicht stehen. Neben der Pandemie mit ihren aktuellen Nachfrageüberhängen und Versorgungsdefiziten heizen nun auch der Ukraine-Krieg und der geplante Abbau von russischen Öl- und Gasimporten die Preisspirale an. Gleichzeitig sind die Preisdynamiken in der produzierenden Industrie meist träge und können sich in dieser Kurzfristigkeit nicht an die massiven Marktveränderungen anpassen. Wer bis jetzt ohne belastbares Preis- und Beschaffungsmanagement mitgeschwommen ist, könnte also bald auf dem Trockenen sitzen. Denn die Margen erodieren in Rekordgeschwindigkeit.
Der Motor springt wieder an
Nachdem der Höhepunkt der Corona-Krise überschritten scheint, erholt sich die produzierende Wirtschaft schneller als erhofft. Doch die Rohstoffgewinnung hinkt dem plötzlichen Nachfragewachstum hinterher, weil die Kapazitäten in den Grundstoffindustrien nicht im gleichen Tempo erhöht werden können. Die Folgen: Verknappung und steigende Rohstoffpreise. Dazu kommt, dass viele Handelsrouten derzeit kriegs- und pandemiebedingt gesperrt sind. Auch Transportkapazitäten wurden zum Teil zurückgefahren. Dadurch kommt es angebotsseitig zu weiteren Engpässen. Darauf reagieren viele Unternehmen wiederum mit Hamsterkäufen, was die Versorgungssicherheit zusätzlich gefährdet.
Die seit Jahren lockeren Geld- und Zinspolitiken von FED und EZB unterminieren in der aktuellen Konstellation neben den oben angeführten Effekten mit die Preis- und Währungsstabilität. Trotz steigender Inflation bleibt der Leitzins in der EU bei vorerst null Prozent und verstärkt damit die Preisdynamik. Außerdem gerät der Euro zunehmend unter Druck. Der niedrige Währungskurs beflügelt zwar die Exportmärkte, schadet aber vielen rohstoff- und energieintensiven Branchen. Denn Öl und Gas, Metalle und viele Landwirtschaftsprodukte werden überwiegend in US-Dollar abgerechnet. Viele importierende Unternehmen müssen dadurch zusätzliche Kosten durch die Währungsabwertung in Kauf nehmen.
Ohne Ventil steigt der Druck
Wer bei steigenden Kosten die Marge absichern möchte, muss den Preis erhöhen. Weil die inflationären Beschaffungskosten in der produzierenden Industrie aber meist nicht unmittelbar durchgereicht werden können, steigt der Margendruck. Die Gründe dafür sind vielfältig:
- Niedrige Verhandlungsmacht
Sowohl auf der Beschaffungs- als auch auf der Kundenseite sehen sich produzierende Unternehmen oft oligopolistischen Strukturen mit starken Konzentrationstendenzen gegenüber. Das schwächt ihre Verhandlungsposition beidseitig und zwingt sie, Kostensteigerungen hinzunehmen während Preiserhöhungen oft weder zeitnahe noch vollständig durchgesetzt werden können. - Vertragliche Fixpreise
Wo die Auftragsvergabe über Ausschreibungen und Tender erfolgt, werden die Anbieter meist verpflichtet Fixpreise abzugeben. Rohstoffpreiserhöhungen, die sich während der Vertragslaufzeit materialisieren, können unter diesen Vertragsbedingungen nur schwer weitergegeben werden. - Zeitversatz zwischen Angebot und Fertigung
Wenn es keine Preisgleitklausel gibt und zwischen Angebot und Fertigung mitunter mehrere Monate oder sogar Jahre liegen, trägt der Anbieter ein umso höheres Preisrisiko. Dann gilt es bei der Angebotslegung abzuschätzen, wie hoch der Rohstoffpreis zum Einkaufszeitpunkt sein wird. In der Praxis werden diese Überlegungen allerdings selten angestellt. Stattdessen gehen die Anbieter meist vom Preis zum Angebotszeitpunkt aus, was sie später in arge Bedrängnis bringen kann. - Intransparente Kosten- und Preisstruktur
Oft fehlt eine zielgenaue Kalkulationsbasis, auf der Auswirkungen von Kostensteigerungen bei Rohstoffen adäquat bewertet werden können. Meist wird mit Durchschnittswerten kalkuliert und die Kostensteigerung gießkannenartig über alle Produkte verteilt. Als Folge davon herrscht Unwissen darüber, wo der Profit überhaupt herkommt und in welchem Maß einzelne Produkte oder Services durch aktuelle Kostenveränderungen mehr oder weniger belastet sind. - Herausforderungen in der Unternehmenskultur
Das Weiterreichen von rasch stark steigenden Rohstoff- und Energiekosten ist in vielen Industriebetrieben nicht gelernt und die Systeme und Tools dazu fehlen. Das zeigt sich sowohl im Preis- als auch im Vertriebsmanagement, wo für sensible Preisverhandlungen vielfach das Trainings- und Unterstützungsangebot fehlt. Hinzu kommt, dass in den meisten Unternehmen vielfach eine eher defensive Kultur des Preismanagements vorherrscht.
Eine toxische Mischung
Die Kombination aus inflationärem Kostenanstieg, Preisstarre und schwachem Preismanagement erzeugt eine toxische Situation, die Industrieunternehmen an den Rand der Existenz drängen kann. Die gute Nachricht ist: Nicht alle Problemfaktoren liegen außerhalb des unternehmerischen Einflussbereichs. Wer jetzt Defizite im Beschaffungs- und Preismanagement erkennt, kann den Krisenmoment als Wendepunkt nutzen, um nachhaltige Optimierungsmaßnahmen zu setzen.
Wege aus der Margenfalle
Um den Margendruck effektiv zu dämpfen, braucht es eine zuverlässige Datengrundlage und ein strukturiertes Vorgehen:
- Bewertung der Risikopositionen
Im ersten Schritt gilt es, das Beschaffungsvolumen nach Waren- bzw. Dienstleistungsgruppen und nach Lieferanten zu analysieren. Das Beschaffungsportfolio zeigt, von welchen Rohstoff-Lieferanten-Kombinationen das größte Kostenauftriebsrisiko ausgeht und mit welchem Impact dabei zu rechnen ist.
In Folge gilt es, auf Basis einer verursachungsgerechten Kostenkalkulation die Produkt-Service-Kombinationen zu identifizieren, bei denen diese Risikopositionen den stärksten Niederschlag finden. Absatzseitig kann ähnlich vorgegangen werden: Ein Produkt-Kunden-Portfolio berücksichtigt Parameter wie die Dauer der vertraglichen Preisbindung, Auftragsvolumen, Verhandlungsmacht, usw. Damit ermöglicht eine Analyse des Portfolios eine Priorisierung von Kundensegmenten nach der Höhe des drohenden Margenrisikos. - Auswahl und Nutzung geeigneter Stellhebel
Vor einer maximalen Anpassung der Zielpreise für prioritäre Produkt-Kunden-Kombinationen gilt es jedenfalls, alle möglichen weiteren Gegensteuerungsmaßnahmen auf der Beschaffungsseite wie auch auf der Vertriebsseite zu prüfen und hinsichtlich ihrer Wirkung zu bewerten. Beschaffungsseitig wären dies zum Beispiel das Verfolgen einer Mehrlieferantenstrategie, die Vereinbarung längerer Preisbindungen, der Abschluss von Warentermingeschäften (Future/Forward), etc.
Vertriebsseitig gilt es, alle Möglichkeiten eines zukünftigen Vertrags-Redesigns zu prüfen. Dies soll Preisflexibilität durch Einsatz von z.B. Preisgleitmechanismen oder kostenbezogener Change Order-Klauseln bringen. - Anpassung des Pricing-Systems
Vor diesem Hintergrund kann die aktuelle Auftragskalkulation dann neu bewertet werden. Der Handlungsbedarf, der sich daraus ableitet, wird in ein neues Pricing-System übertragen, das den kritischen Parametern Rechnung trägt. Ebenso werden für die kritischen Kunden und Produkte die aktuellen Verträge neu kalkuliert und Zielpreise für die anstehenden Preisverhandlungen festgesetzt. - Implementierung
Im letzten Schritt wird ein Action Plan für die Ausrollung der Preisanpassungen erstellt. Wir empfehlen, die Umsetzung zunächst bei ausgewählten Kunden zu pilotieren. Ein laufendes Maßnahmen- und Effekt-Controlling verfolgt die Zielerreichung. Ebenso müssen dem Vertrieb geeignete Instrumente, wie Argumentarium, Kalkulationstool und ein Regelwerk für die Genehmigung von Ausnahmen in die Hand gegeben werden. Eine Simulation der Kundengespräche in Rollenspielen bereitet den Vertrieb auf die Verhandlungssituationen gezielt vor.
In schwierigen Zeiten zeigt sich, welche Unternehmen ein professionelles und resilientes Beschaffungs- und Preismanagement etabliert haben. Sie können die inflationären Kostenentwicklungen über beschaffungs- und vertriebsseitige Maßnahmen mehrheitlich abfedern. Die anderen werden als Nacktschwimmer aus der Ebbe hervorgehen, sofern sie keine wirkungsvollen Gegenmaßnahmen setzen. Wer dafür nach Ansatzpunkten sucht, findet im kostenlosen Download weiterführende Erklärungen und konkrete Methoden, um der bedrohlichen Margenfalle zu entkommen. Viel Erfolg!
Autoren:
Dr. Walter Maderner, Mag. Andreas Frischherz
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