GCI | September 4, 2019

Budgetierung und Forecast: Ein Praxisfall

Das Budget ist eines der wichtigsten Steuerungsinstrumente für Management und Controlling. Es wird von den Unternehmenszielen abgeleitet und zukunftsorientiert für die darauffolgende Geschäftsperiode erstellt. Mit dem wirtschaftlichen Umfeld haben sich in den letzten 30 Jahren allerdings auch die Rahmenbedingungen für die Budgeterstellung verändert. Die zunehmende Komplexität und Dynamik unserer Wirtschaftswelt machen Prognosen heute deutlich schwieriger. Herkömmliche Ansätze werden den modernen Ansprüchen in der Budgetierung oft nicht mehr gerecht. Das war auch die Ausgangssituation bei einem unserer Klienten im Bereich der produzierenden Industrie (Stahlverarbeitung).

Kein ungewöhnliches Problem

Der jährliche Budgetierungsprozess frisst erfahrungsgemäß eine erhebliche Menge an Ressourcen. Das liegt zum einen daran, dass Budgets oft sehr detailliert geplant werden und der Prozess aufgrund mehrerer Feedback- und Validierungsschleifen entsprechend langwierig ist. Zum anderen hat man es dabei mit einer zunehmenden Anzahl an Unsicherheitsfaktoren im externen und internen Umfeld zu tun. Das kann unter anderem dazu führen, dass manche Eckpunkte der Budgetplanung bei Start des Geschäftsjahres nicht mehr mit der aktuellen Informationslage übereinstimmen, da die zugrundeliegenden Annahmen bereits Monate alt sind. Gleichzeitig ist das Budget aber der primäre Orientierungspunkt in der kurzfristigen Unternehmensplanung. Die Konsequenz: Es ist kein zuverlässiges Instrument zur kurzfristigen Entscheidungshilfe vorhanden.

Die Herausforderung am Beispiel eines realen Falls

Im konkreten Klientenbeispiel trat genau diese Schwierigkeit zutage: Nach zwei Monaten im Budgetzeitraum wurde klar, dass die budgetierte Absatzmenge aufgrund von Marktentwicklungen deutlich verfehlt wird. Die aktualisierte Absatzplanung rechnete mit einer Absatzmengenreduktion von ca. 25% im Vergleich zum Budget. Der Stahlverarbeiter verzeichnete aus diesem Grund jedes Monat aufs Neue erhebliche KPI-Soll/Ist-Abweichungen und hatte kein pragmatisches Instrument zur Entscheidungsfindung im geänderten Unternehmensumfeld. Die Alternative zur rollierenden Anpassung – nämlich ein von Grund auf neuerlicher Budgetierungsprozess – war aufgrund der hohen Komplexität während der laufenden Budgetperiode keine Option.

In dieser Situation der mangelnden Steuer- und Planbarkeit wurden wir ins Boot geholt. Ziel unseres Projektauftrags war es, ein Forecasting-Tool zu entwickeln, welches in der Lage ist, schnell und effizient die Auswirkungen von Marktentwicklungen – wie in diesem Fall dem Einbruch der Nachfrage – auf die GuV akkurat abzubilden. Dies sollte dem Klienten ermöglichen, Reaktionsmöglichkeiten zu erkennen und durchzuspielen. Aus dem Projektauftrag ergaben sich in erster Linie zwei wesentliche Herausforderungen:

  • Definition des Komplexitätslevels
    „So komplex wie nötig, so simpel wie möglich”, lautete unsere Maxime. Es war nicht unser Anspruch, ein Modell zu entwerfen, welches die Budgetierung ersetzt. Es sollte allerdings ein effektives Planungstool geschaffen werden, das mit geringstmöglichem Aufwand anzupassen ist.
  • Identifizierung der Ergebnistreiber
    Dafür mussten im ersten Schritt sämtliche Ergebnistreiber eruiert werden. Daraus leitet sich nämlich der Kernbestandteil des Tools ab: Die Abbildung und Einstellbarkeit aller wesentlichen Ergebnistreiber im Modell als Basis für möglichst akkurate Simulationen.

Der Weg zum Forecast Planungstool

Die Entwicklung des Forecasting-Tools erfolgte Schritt für Schritt:

  1. Definition der Tool-Grundstruktur
    Zunächst definierten wir den Aufbau des Tools anhand der Anforderungen, denen es genügen muss: Die Grundstruktur muss ermöglichen, dass sämtliche Ergebnistreiber abgebildet und effizient verändert werden können.
  2. Absteckung des Tool-Scopes zusammen mit den künftigen User/innen des Tools
    Die Absteckung des Funktionsumfangs betraf insbesondere zwei Aspekte:
    – Funktionsumfang des Tools: Welche Simulationen sollen rechenbar sein? Für welche
    Entscheidungen soll das Tool genutzt werden?
    – Output-Form: Welche Darstellungsformen und Analysen soll das Tool generieren? Die Definition des Scopes hat massiven Einfluss auf Design und Komplexität des Modells. Es wurde versucht, den goldenen Mittelweg zwischen einfacher und schneller Aktualisierung einerseits und realistischer Abbildung der Realität sowie belastbaren Ergebnissen andererseits zu finden. Um eine unnötige Erhöhung der Komplexität zu vermeiden, wurden alle Wünsche und Vorschläge bei der Absteckung des Funktionsumfangs kritisch hinterfragt.
  3. Intensiver Austausch mit den Kostenstellen-Verantwortlichen
    In Zusammenarbeit mit den Kostenstellen-Verantwortlichen haben wir zwei wesentliche Aspekte der Kostenrechnung definiert:
    – Auswahl der im Tool zur Verfügung stehenden Schichtmodelle (um auf
    Nachfrageschwankungen reagieren zu können)
    – Identifizierung und vollständige Zuordnung akkurater Kostentreiber pro Kostenart
  4. Abstimmung mit dem Controlling
    Das Controlling-Team unterstützte uns bei der Kalkulation von Kostensätzen und -arten:
    – Einholung Faktorkostensätze
    – Berechnung der Personalkostensätze in unterschiedlichen Schichtsystemen (zur
    automatisierten Personalkostenberechnung der Schichtmodelle)
    – Definition fixer und variabler Sachkostenanteile
    – Definition fixer und variabler Personalkostenanteile
  5. Modellierung der Grundstruktur des Tools
    Rücksichtnehmend auf die geforderte Funktionalität und eine möglichst einfache Bedienung wurde das Tool schlussendlich modelliert.

Das Ergebnis

Innerhalb von wenigen Wochen konnte basierend auf dem Input des Klienten ein flexibles Forecast Planungs-Tool modelliert werden, welches die Anforderungen hinsichtlich Funktionalität und Bedienbarkeit erfüllte.

Die Komplexität wurde gesteuert, indem die Planungsebene der Kostenstellen frei definiert wurde. So konnten beispielsweise Kostenstellen, welche Produktionsschritt 1 zuzuordnen waren, zusammengefasst und konsolidiert geplant werden. Selbstverständlich muss eine derartige Zusammenfassung von Kostenstellen immer kritisch hinterfragt werden, da diese nur sinnvoll ist, wenn gewisse Anforderungen erfüllt sind (idente Kostentreiber in den verschiedenen Kostenarten, keine Kostenstellen-spezifischen Eigenheiten, welche eine separate Planung notwendig machen etc.).

Die Einholung der notwendigen Daten und Informationen geschah in enger Zusammenarbeit mit dem Klienten. Bis zu diesem Zeitpunkt waren allerdings viele Daten nicht in der benötigten Granularität vorhanden. Daher entschloss man sich initial, die Budgetwerte auf die Kostenstellen und die budgetierten Kostentreiber herunterzubrechen und die errechneten Werte bei Bedarf sukzessive anzupassen. Auf diese Weise konnte das Tool frühzeitig für die Simulation basierend auf Budgetannahmen herangezogen werden. Gleichzeitig behielt man sich dadurch auch die Freiheit, die Planungsqualität nachträglich noch weiter zu erhöhen.

Die finale Version des Modells integrierte die Absatzplanung, die Vormaterialplanung, die Schichtleistungskalkulation und die Kapazitätsplanung. Das Management konnte im Modell nun die Auswirkungen des Nachfragerückgangs auf die GuV monatsgenau ablesen und mögliche Reaktionsmöglichkeiten (z.B. Anpassung Produktionsmenge, Änderung Schichtmodell, Anzahl produzierender Feiertage pro Monat etc.) simulieren.

Die Entwicklung eines zugeschnittenen Forecast Planungstools stellte sich als hilfreiches Planungs- und Steuerungsinstrument für unseren Klienten in der produzierenden Industrie heraus. Welcher Ansatz in welcher Ausprägung für Ihr Unternehmen sinnvoll ist, lässt sich allerdings nicht pauschal beantworten. Kosten und Nutzen des Budgets als Entscheidungshilfe müssen für jede Organisation individuell bewertet werden. Anhaltspunkte liefern die Dynamik und Volatilität im wirtschaftlichen Umfeld, die Komplexität der Unternehmensstruktur sowie das Geschäftsmodell. In jedem Fall lohnt sich eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Budgetierung und Forecasting, da unserer Erfahrung nach oft enormes Optimierungspotenzial hinsichtlich Planbarkeit und Entscheidungsqualität besteht. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Überprüfung, ob Sie sämtliche Daten zur Erstellung eines Forecasting-Tools bei der Hand haben. Eine entsprechende Checkliste können Sie hier downloaden.

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