Philip Wolfsteiner | November 15, 2017

Working Capital Management: Ist Kapital in Ihrem Unternehmen unnötig gebunden?

Welche Liquiditätspotenziale lassen sich aus Ihren Lieferforderungen, Ihren Lieferverbindlichkeiten und Ihren Beständen (Vormaterial, Fertigwaren, Ersatz- und Reserveteile, Hilfs- und Betriebsstoffe) loseisen? Kein großes Thema bei diesem niedrigen Zinsniveau? Viele erfolgreiche Unternehmen sehen jedoch Wachstums- und Zukunftspotentiale schlummern und daher steht Working Capital Management sehr wohl auch heute auf der Agenda von Top-Managern.

Dieser Beitrag will zeigen welches Potential in dem Thema Working Capital Management (WCM) steckt und gibt Tipps wie Sie das Potential heben.

Warum jetzt Working Capital ein Thema ist

Viele Führungskräfte wissen aus eigener Erfahrung, dass Working Capital Management ein zähes Thema ist. Es ist nicht einfach die Verantwortung klar an einer Person festzumachen und das typische stichtagsbezogene Reporting zeigt nicht wirklich wie hoch das Potential und vor allem wie es zu holen ist.

Zusätzlich sind Zinsen derzeit noch immer so niedrig, dass Fremdfinanzierung attraktiver scheint, als die eigene Organisation zu einem effizienten Capital Working Management zu zwingen.

Diese drei Gründe sprechen klar für dafür, das Thema gerade jetzt anzugehen:

  • Die Optimierung des Bestand an Working Capital eröffnet finanzielle Freiheitsgrade, um Wachstum, Innovation und Investitionen zu finanzieren
  • Das aktuell niedrige Zinsniveau eröffnet zusätzliche Verhandlungsspielräume mit Kunden und Lieferanten
  • Stellen Sie jetzt Ihr Unternehmen so auf, dass es robust gegenüber künftigen Krisen ist

Wie hoch ist das Potential? Meist ist es höher als ursprünglich angenommen wird. Die Praxis zeigt, dass mindestens 10-20% meistens hebbar sind.

Wer ist verantwortlich?

Eine Herausforderung ist, dass viele Abteilungen und Funktionen mit dem Querschnitts-Thema WCM indirekt oder direkt beschäftigt sind. Faktum ist, dass es meist keine gebündelte Gesamtverantwortung im Unternehmen gibt. WCM ist jedenfalls kein reines Finanzthema und wenn man bedenkt wer aller im Unternehmen den Bestand an Working Capital beeinflusst, dann müssten zumindest folgende Funktionen für WCM in die Verantwortung genommen werden:

  • Vertrieb: Muss bei den Vertragsverhandlungen nicht nur den Preis, sondern auch die Zahlungsbedingungen optimal ausgestalten
  • Einkauf: Muss ähnlich wie der Vertrieb nicht nur auf den Preis, sondern auf WCM freundliche Zahlungsbedingungen achten sowie mit Blick auf Lagerbestände Wiederbeschaffungszeiten und optimale Bestelllosgrößen im Auge behalten
  • Finanzen: muss ein effektives und effizientes WCM-Controlling aufbauen sowie Mahnprozesse und Zahlläufe optimieren
  • Produktionsplanung, Logistik, SCM: Müssen Läger so führen, dass eine Balance zwischen minimalen Fertigungskosten/Rüstzeiten, notwendiger Produktverfügbarkeit und Optimierung von WCM gefunden wird.
  • Instandhaltung: muss ein Optimum zwischen Anlagenverfügbarkeit und Ersatzteil-Beständen finden

Tipp: Nominieren Sie einen WCM-Gesamtverantwortlichen, nehmen Sie WCM dauerhaft in das regelmäßige Reporting auf und bauen Sie WCM in Ihr Zielsystem ein.

Problem des typischen Reportings

Typischerweise betrachten Unternehmen Forderungen, Verbindlichkeiten und Lagerbestände zu einem Stichtag am Ende des Monats oder am Ende des Jahres. Gerade auf diese Stichtage hin wird jedoch das Working Capital ohnehin optimiert – Zahlungen hinausgeschoben, Bestellungen zurückgehalten, Kundenforderungen verstärkt eingetrieben. Eine valide Aussage zum tatsächlichen Working Capital Bestand und seinen Ursachen ist aber mit solch einer Methode nicht möglich.

Um wirklich zum Kern des Problems zu gelangen, müssen Sie jede Faktura, jede Lagerbewegung, jeden Zahlungseingang analysieren und sich anschauen wie viel unterjährig an Working Capital gebunden ist und vor allem warum. Die dafür notwendigen Informationen liegen in der Regel in den IT-Systemen vor, werden aber nur selten im erforderlichen Detailgrad analysiert und ausgewertet. Mit den richtigen Tools können Sie den Datenschatz heben und spannende Erkenntnisse gewinnen.

Ein Beispiel aus der Praxis:

Zu Beginn eines WCM Projektes informiert uns der Vorstand des Klienten, dass er im Bereich Lieferforderungen nur geringes Potential vermutet, da nur ca. 10 % seiner Fakturen überfällig sind. Das sagt ihm sein Controlling-System bei einer Monatsbetrachtung. Nachdem wir die 300.000 Fakturen des letzten Geschäftsjahres analysiert haben, sehen wir, dass in Wirklichkeit 79% der Rechnungen zumindest einen Tag überfällig sind. Am Ende lassen sich über spezifische Maßnahmen bei notorischen Spätzahlern die Überfälligkeiten deutlich reduzieren und wo zuvor kein Potential vermutet wurde, können plötzlich sechsstellige Eurobeträge an Liquidität gehoben werden!

Tipp: Sie müssen ein spezifisches WCM-Controlling aufsetzen, das zeitraumbezogene Daten in der Tiefe analysiert und Ihnen so aufzeigt, wo die Potentiale liegen und was die Ursachen dafür sind. 

Wie Sie das Problem lösen

Eine nachhaltige Verbesserung des Working Capital lässt sich nur dann erzielen, wenn die Optimierung nicht nur als einmalige Übung verstanden wird, sondern es zu dauerhaften Veränderungen von Prozessen und Verhaltensweisen kommt. Bewusstseinsbildung bei den involvierten Mitarbeitern ist daher eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der geplanten Maßnahmen. Der analytischen Datenaufbereitung kommt dabei eine wichtige Rolle zu, da Zusammenhänge erkannt, Auffälligkeiten klar dokumentiert und Veränderungsnotwendigkeiten faktenbasiert aufgezeigt werden.

Um WCM im Tagesgeschäft zu verankern ist es wesentlich, die involvierten Mitarbeiter einerseits in die Verantwortung zu nehmen und Ihnen andererseits auch die Instrumente, Methoden und Informationen in die Hand zu geben, um eine Optimierung vorzunehmen.

Beispielsweise wird der Vertrieb oft aus der Verantwortung für den Zahlungseingang entlassen, da man ihn auch gar nicht daran misst. Vertriebsprovisionen hängen ja meist nicht an den Zahlungsbedingungen, sondern am Umsatz. In einem differenzierten Ziel- und Anreizsystem sollte aber auch Platz für Kennzahlen wie DSO sein.

“Der Vertriebsvorgang ist dann abgeschlossen, wenn der Kunde bezahlt hat und nicht wenn der Kunde unterschrieben hat”

Geben Sie dazu Ihrem Vertrieb die Instrumente in die Hand mit denen er selbst Verbesserungspotentiale erkennen und konkrete Maßnahmen erarbeiten kann. Richtiges WCM-Controlling liefert genau die Argumente, die Sie und Ihr Vertrieb brauchen, um Verbesserungen voranzutreiben.

Auch im Einkauf hat natürlich der Preis die erste Priorität und die Konditionen rangieren danach. In der Praxis begegnen uns oft Zahlungskonditionen, die seit vielen Jahren nicht mehr an die Bedeutung des Lieferanten bzw. die eigene Bedeutung als Kunde beim Lieferanten angepasst wurden. Auch hier kann durch ein ausgewogenes Zielsystem verknüpft mit einer soliden Faktenbasis sehr viel erreicht werden.

Übermäßige Lagerbestände sind oftmals Resultat ineffektiver Informationsflüsse und mangelhafter Entscheidungsgrundlagen. Für eine Optimierung der Bestände ist die Qualität der Prognose des zukünftigen Bedarfes und ein faktenbasiertes Risikomanagement essentiell. Wichtig ist auch eine laufende dynamische Anpassung an sich verändernde Rahmenbedingungen wie beispielsweise Wiederbeschaffungszeiten.

Beispiel aus der Stahlverarbeitung:

Abhängig von der Konjunktur und Auslastung der Lieferanten  liegen die Lieferzeiten für das wesentliche Betriebsmittel Walzen zwischen 6 und 18 Monaten. Der Produktions-Verantwortliche muss daher gemeinsam mit dem Einkauf die Beschaffungsstrategie laufend dynamisch anpassen.

Tipp: Definieren Sie klare Verantwortlichkeiten, messen Sie die WCM-Performance und geben Sie den Mitarbeitern die Tools und Instrumente in die Hand, um Fehlentwicklungen zu erkennen, Dynamiken in den Rahmenbedingungen zu monitoren und entsprechende Maßnahmen zu entwickeln. Verankern Sie Working Capital Management als KVP-Initiative und stellen so eine laufende, nachhaltige Optimierung sicher.

Conclusio Working Capital Management

Motivation für professionelles Working Capital Management kommt erst, wenn klar ist, welches Potential darin schlummert. Fast immer ist es mehr als ursprünglich angenommen. Oft wird einfach die falsche Brille aufgesetzt.

Die notwendigen Daten sind in der Regel vorhanden, allerdings werden sie nicht so analysiert und reportet, dass sie für ein effektives Working Capital Management aussagekräftig sind.

Mit dem richtigen Ansatz kann das Potential effektiv und effizient gehoben werden.

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