Philip Wolfsteiner | März 14, 2018

Wie Sie ein schlankes Ersatzteillager und Anlagenverfügbarkeit unter einen Hut bringen

Das Working Capital zu durchforsten und finanzielle Mittel frei zu legen, lohnt sich besonders. Bereiche, die gerne vernachlässigt werden, aber oftmals signifikantes Potential bergen, sind Ersatz- oder Reserveteile-Läger für die Instandhaltung eigener Anlagen.

Achten Sie aber auf die Fallstricke: Anlagenverfügbarkeit ist häufig oberste Entscheidungsmaxime. Dementsprechend schnell wachsen Ersatz- und Reserveteil-Läger, wenn es darum geht, dieses Ziel um jeden Preis zu erreichen. Wesentlich ist daher die Frage: Wie kann der Bestand an Ersatz- und Reserveteilen reduziert werden ohne dabei die Anlagenverfügbarkeit oder Produktionspläne zu gefährden?

In diesem Beitrag geben wir eine Antwort auf diese Frage – und zwar aus der Praxis unseres Beratungsalltages.

Anlagenverfügbarkeit vs. schlankes Ersatzteillager

Wenn es zu einer Abwägung zwischen Anlagenverfügbarkeit und Verschlankung des Ersatzteillagers kommt, gewinnt immer die Anlagenverfügbarkeit. Die Ausgangslage stellt sich in der Praxis nämlich oft wie folgt dar:

  • Mangelnde Transparenz und schlechte Datenlage: Ersatzteil-Läger werden mitunter nicht vollständig in IT-Systemen abgebildet: Es regieren Handzettel und ähnlich unzuverlässige Aufzeichnungsformen. Erschwerend kommt hinzu, dass Artikel-Stammdaten häufig nicht unternehmensweit harmonisiert sind. So existieren Duplikate oder Mehrfach-Anlagen ein und desselben Artikels. Die Datenlage ist somit alles andere als sicher und eindeutig.
  • Klassische Lagerkennzahlen stoßen an ihre Grenzen: Die Lagerdrehung eines kritischen Reserveteils, das im Durchschnitt nur alle drei Jahre getauscht werden muss, ist in der Regel wenig aussagekräftig.
  • Lieber auf Nummer sicher:  Welcher Top-Entscheider möchte für einen Anlagenausfall verantwortlich sein? Keiner, denn der mögliche Schaden durch einen Anlagenausfall wiegt fast immer schwerer als die Kapitalbindungskosten durch Ersatzteil-Läger. Das Argument der Risiko-Minimierung erstickt so viele Diskussionen ums Reserveteil-Management im Keim.

7 Schritte, um Ihr Ersatzteillager sicher zu verschlanken

1. Pflegen und harmonisieren Sie Ihre Material-Stammdaten

Klingt mühsam – und ist es auch, aber ohne gut gepflegte und harmonisierte Material-Stammdaten werden Sie Ihr Ersatz- und Reserveteil-Management nicht in den Griff bekommen.

Nur wenn Materialnummern eindeutig vergeben werden, können Sie nachvollziehen, wie viele und welche Ersatz- und Reserveteile an den einzelnen Standorten Ihres Unternehmens verfügbar sind. Das erfordert vielleicht auch organisatorische Anpassungen – etwa wenn es um die Frage geht: Wer darf Materialnummern eigentlich anlegen?

Außerdem sollten Sie zumindest zu den wichtigsten Ersatz- und Reserveteilen (80:20-Regel) Wiederbeschaffungszeiten und Meldebestände hinterlegt haben und diese auch laufend aktualisieren. Bedenken Sie: Je nach Auslastungssituation Ihrer Lieferanten können gerade Wiederbeschaffungszeiten massiv schwanken.

2. Führen Sie eine konsequente Lagerbereinigung durch

Wenn Anlagen aus Ihrem Anlagenpark ausscheiden, sollten Sie auch die dazugehörigen Ersatz- und Reserveteile verwerten. Das setzt wiederum gut gewartete Stammdaten voraus, aus denen hervorgeht, welche Ersatz- und Reserveteile welchen Anlagen zugeordnet sind.

3. Bündeln Sie Läger

Nützen Sie Synergie-Potenziale, indem Sie Ersatzteil-Läger zusammenführen. Oft liegen diese am Firmengelände verstreut, um kurze Wege zu gewährleisten. Gerade bei selten genutzten Ersatz- und Reserveteilen macht es aber Sinn, zu bündeln und nur einmal vorzuhalten.

Damit können Sie bei Mehrfachlagern unweigerlich entstehende Sicherheitsbestände und -puffer deutlich reduzieren und zwar ohne Ihr Risiko zu erhöhen. Die Bündelung muss auch nicht zwingend physisch erfolgen: Bei gut gepflegten Stamm- und Lagerdaten reicht eine virtuelle Bündelung.

Denken Sie am besten gleich standortübergreifend oder – ganz radikal – unternehmensübergreifend. Unter Umständen kann es sinnvoll sein, im Verbund bestimmte – selten gebrauchte, aber erfolgskritische – Anlagenkomponenten vorzuhalten und die Risikokosten (analog einer Versicherung auf Gegenseitigkeit) zu teilen.

Wesentliche Voraussetzungen dafür sind neben einheitlichen Stammdaten auch klare Prozesse und Verantwortlichkeiten, faire Verrechnungsmodelle und Anreizsysteme sowie verlässliche Logistik-Konzepte.

4. Standardisieren Sie Anlagenkomponenten

Legen Sie bereits in Ihrer Beschaffungs- und Lieferantenstrategie den Grundstein für eine optimierte Ersatz- und Reserveteil-Bewirtschaftung.

Bestes Beispiel dafür sind Low-Cost-Airlines, deren konsequente Harmonisierung der Flugzeug-Flotten zum wesentlichen Erfolgstreiber wurde. Neben der Bündelung von Einkaufsmacht profitieren sie auch von einer effizienteren Gestaltung des Instandhaltungs- und Ersatzteil-Managements.

In bestehenden Anlagenparks kann es außerdem Sinn machen, bei bestimmten Anlagenteilen eine Nivellierung nach oben vorzunehmen – also bewusst den höheren Standard auf die Komponente anzusetzen und so trotz eines möglicherweise höheren Einzelpreises in Summe eine Einsparung zu erzielen.

Die Einsparungen entstehen etwa durch Bündelungseffekte im Einkauf und Ersatzteil-Lager, geringere Ausfallsrisiken, längere Standzeiten und reduzierte IH-Interventionen.

5. Versachlichen Sie die Diskussion um Sicherheitsbestände

Die beste Basis für eine faktenbasierte Definition von Sicherheits- und Meldebeständen im Ersatzteil-Lager ist eine umfassende Risikoanalyse Ihres Anlagenparks hinsichtlich Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung eines Risikos.

So erkennen Sie, welche Anlagenteile und Aggregate tatsächlich kritisch für die Einhaltung Ihrer Produktionspläne sind, bei welchen ein Stillstand vertretbar wäre und wo Redundanzen zusätzliche Risikopuffer erzeugen.

Übrigens: Wenn Sie Ihre Ersatzteile sauber Anlagenteilen zugeordnet haben, liefert Ihnen der Teile-Verbrauch bereits erste Anhaltspunkte hinsichtlich Ausfallshäufigkeiten.

Stellen Sie die Ergebnisse außerdem den zu erwartenden Wiederbeschaffungszeiten der jeweiligen Anlagen-Komponenten gegenüber und Sie haben alle Fakten auf dem Tisch, die Sie für eine sachliche Diskussion von Sicherheitsbeständen benötigen.

6. Erwägen Sie Outsourcing bei C-Teilen

Im Falle von C-Teilen kann es zielführend sein, Outsourcing-Überlegungen anzustellen und beispielsweise ein Vendor-Managed-Inventory oder Konsignationsläger von Lieferanten in Erwägung zu ziehen.

Damit haben Sie neben dem Bestandsthema auch gleichzeitig mühsame und kostenintensive Routine-Prozesse ausgelagert und können sich verstärkt auf die erfolgskritischen Stellhebel fokussieren.

7. Definieren Sie die richtigen Kennzahlen

Bei Ersatzteilen mit regelmäßigem Verbrauch kann der Lagerumschlag durchaus eine relevante Messgröße sein. Bei selten gebrauchten Komponenten verliert die Kennzahl aber rasch an Aussagekraft. Hier gilt es auch andere Messgrößen in Erwägung zu ziehen, etwa:

  • Anzahl der Materialnummern (Stichwort Standardisierung)
  • Anzahl der Materialnummern mit mehr als einem Lagerstandort (Stichwort Bündelung)
  • Abweichung des tatsächlichen Lagerbestands vom Melde- und Sicherheitsbestand (Stichwort faktenbasierte Bestandsplanung)
  • Anteil der Materialnummern mit vollständig gepflegten Stammdaten (Stichwort Datenqualität)

 

Abbildung Klientenbeispiel: Abweichung Lagerbestand vom Meldebestand und typische Ansatzpunkte

Positive Nebeneffekte

Die beschriebenen Maßnahmen helfen nicht nur dabei, Ihre Ersatzteilläger zu verschlanken und Working Capital frei zu setzen. Sie haben eine ganze Reihe positiver Nebeneffekte:

  • Durch die Harmonisierung von Stammdaten können Sie unter Umständen auch Bedarfe besser bündeln und so Ihre Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten ausbauen, um bessere Einkaufspreise zu erzielen.
  • Durch gut gepflegte Lagerdaten können Sie drohende Out-of-Stock-Situationen besser erkennen, schneller reagieren und so Stillstände vermeiden.
  • Eine Risikoanalyse Ihrer Anlagen schafft außerdem die Basis für die Entwicklung aggregatsspezifischer IH-Strategien – eine wesentliche Voraussetzung, um Ihre Instandhaltung effektiv und effizient zu organisieren.

Kommen wir zum Fazit

Sie können Ersatz- und Reserveteile natürlich nicht über einen Kamm scheren: Es ist notwendig, sich für unterschiedliche Materialgruppen unterschiedliche Beschaffungs- und Lagerstrategien zu überlegen. Wenn Sie sich mit dem Thema Lagerhaltung beschäftigen, sollten Sie aber auch eine verlässliche Daten- und Faktenbasis anstreben: Andernfalls lassen sich Potenziale schwer erkennen und Risiko-Argumente nicht entkräften.

Working Capital ist natürlich nicht nur im Ersatz- und Reserveteile Lager gebunden. Auch das Fertigwarenlager ist ein Kandidat für das Freisetzen von Kapital. Lesen Sie mehr dazu in unserem Guide für ein schlankes Fertigwarenlager.

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