Walter Maderner | November 30, 2017

Wie sich eine breitere Sicht von Supply Chain Management auf Ihr Unternehmen auswirkt

Was eine breitere Sicht von Supply Chain Management Ihrem Unternehmen bringen kann

Supply Chain Management fristet in vielen Unternehmungen oft ein nur untergeordnetes Dasein, weil diese Funktion meist nur logistisch gedacht wird. Das geht darauf zurück, dass die klassische Betriebswirtschaftslehre für die Lieferkette keine eigene Funktion wie etwa Personalwesen, F&E oder Logistik vorsieht. Logistiker sind meistens Lagerleiter mit einer engen und auf ihre Funktion fokussierten Denkweise. Ihnen fehlt der Blick fürs große Ganze, wie die gesamte betriebliche Wertschöpfung end to end von Logistikprozessen unterstützt werden kann.

Erfolgreiche Führung verlangt ein breiteres Verständnis der Supply Chain oder Lieferkette. Sie umfasst den gesamten Fluss an Material und Information entlang der Wertschöpfungskette vom Kundenauftrag über Lagerung und Produktion bis zur Wiederbeschaffung. Die Supply Chain geht also über die eigene Unternehmensgrenze hinaus und verbindet Zulieferer und Kunden mit dem Unternehmen. Sie bestimmt nicht nur Kosten, sondern auch Durchlaufzeiten und Qualität.

Dieser Beitrag soll die Chancen bei einem breiteren Blick auf Supply Chain Management aufzeigen.

Schlechtes Image auf Grund von Exzessen bei Just-in-time

Dass Supply Chain Management manchmal mehr als Problem denn als Chance wahrgenommen wird, liegt auch an Exzessen bei Just-in-time-Lieferungen: Große Automobilhersteller wälzen üblicherweise ihre Lagerkosten auf ihre Zulieferer ab. Damit werden die Kapitalkosten zu den Lieferanten verschoben, die Lieferkette an sich wird aber nicht optimiert, und die Anfälligkeit für Störungen ist groß. Das konnte man bei VW sehen, als sich im Sommer 2016 ein kleiner Streit mit Zulieferern zu monatelanger Kurzarbeit in der Golf-Produktion auswuchs.

Dow Corning hat es vorgemacht

Ein anschauliches und gut dokumentiertes Beispiel für erfolgreiches Supply Chain Redesign stammt von Dow Corning. Der amerikanische Marktführer verlor Anfang 2000 für seine Silikonprodukte massiv Marktanteile. Daraufhin schuf Dow Corning über einen radikalen Umbau der Supply Chain einen eigenen Vertriebskanal für preissensitive Kunden und damit ein neues Geschäftsmodell innerhalb des Unternehmens.

Unter der Marke Xiameter wurde ein alternativer “Low Cost” Vertriebskanal geschaffen. Ohne die Qualität der Produkte zu kompromittieren, wurden alle Supply Chain Parameter im Sinne der Kosteneffizienz neu definiert: So können gängige Silikonprodukte unter der Marke Xiameter ausschließlich online, ohne Beratung und nur in vollen Ladeeinheiten bestellt werden.

Eine nachträgliche Änderung des Kundenauftrages wird mit einer Gebühr belegt. Auch mit längeren Lieferzeiten müssen die Kunden rechnen, damit bei der Produktion mehr Raum zur Optimierung der Losgrößen besteht. Durch die so erzielten Prozesskosteneinsparungen konnte die Produktlinie 20 Prozent unter dem Standardpreis platziert werden.

Das eigene Geschäftsmodell zu kannibalisieren ist Dow Corning sicher nicht leicht gefallen, hat sich aber ausgezahlt. Mit Xiameter wurden nicht nur verlorene Marktanteile zurückerobert sondern auch erhebliche neue gewonnen. Und dieses Beispiel zeigt plakativ, dass Supply Chain Management weit mehr ist als optimierte Lieferketten.

Informationen müssen fließen

Die meisten Supply Chain-Probleme sind Informationsprobleme. Seltener stecken in den physischen Abläufen wirklich gravierende Schwachstellen (mit Ausnahmen vielleicht der interkontinentalen Lieferketten). Viel entscheidender ist es die richtige Information zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle verfügbar zu haben. Die häufigsten Prozessschwachstellen sind Informationen, die nicht fließen, die fehlerhaft oder nicht vollständig sind, zu spät erfasst werden oder aus denen man nichts ableiten kann.

Das ist schon innerhalb eines Unternehmens oft ein Problem. Wenn ein Kundenauftrag angelegt wird und die Dispo-Läufe für die Produktion nicht zeitnah durchgeführt werden, kann es oft ein bis zwei Wochen dauern, bis der Einkauf den Bedarf für die Wiederbeschaffung erkennt. Betrifft dies einen Rohstoff oder Spezialteil mit langen Lieferzeiten, kann dies zu großen Verzögerungen und Lieferproblemen führen.

Warum viele vor dem Continuous Replenishment zurückschrecken

Wer seine Lieferkette optimieren will, muss mit seinen Zulieferern zusammenarbeiten, besonders, wenn es um strategische Teile oder um nicht leicht austauschbare Zulieferer handelt. Und wieder handelt es sich um den Austausch von relevanten Informationen: Wenn diese Zulieferer Einblick in Bestandsdaten und Arbeitsvorräte des Unternehmens erhalten, können diese absehen, wann welche Bedarfe entstehen und dementsprechend früh reagieren. So werden Wiederbeschaffungszeiten verkürzt, Working Capital verringert und Just in Time quasi en passant realisiert.

Die technischen Möglichkeiten dafür sind da. Im Idealfall funktioniert das ohne Auftrag nach dem Konzept des Continuous Replenishment als partnerschaftliches und automatisiertes Wiederbestellsystem. In der Praxis schrecken die meisten Unternehmen noch davor zurück, mit Lieferanten Bestandsdaten auszutauschen. Die Furcht, erpressbar zu werden, wenn Lieferanten die eigene Auslastung kennen, ist in den meisten Fällen aber übertrieben.

Skalierbarkeit wird wichtiger

Viele Unternehmen leben in volatilen Zeiten. Die Krise 2008/2009 hat es vorgemacht: Umsatz/Absatzrückgänge von 30- 40% waren in vielen Industrien keine Seltenheit. Die Auftragseingänge schwanken, die Produktion kurzfristig herauf oder herunter skalieren zu können, wird immer wichtiger. Auch dabei hilft erfolgreiches Supply Chain Management.

Man hält die Standorte flexibel, mietet Lager und Transportkapazitäten nicht zu langfristig an. Eigene Assets werden nur in dem Umfang einer Basisauslastung vorgehalten, ansonsten erfolgt qualifizierter Zukauf mit dem Vorteil die Marktpreise der zugekauften Leistungen zu kennen, und so auch ein Benchmark für die eigene Performance zu besitzen. So hält man den Kapitaleinsatz schmal. Hier sind Supply Chain und Working Capital Management eng miteinander verbunden.

Differenzierung geht oft nur noch mittels Service Level

Es gibt heute kaum noch ein Unternehmen, das einen unangreifbaren Vorsprung hat. Viele Produkte sind austauschbar. Aber wenn Produkte austauschbar sind, dann gewinnt die Performance der Lieferkette immer mehr an Gewicht. Aufträge scheitern oft nicht am Preis, sondern weil die angefragten Unternehmen nicht schnell genug reagieren und liefern können bzw. in der Vergangenheit die Performance im Kontakt mit dem Kunden nur unzureichend war.

Kunden nehmen sehr gut wahr, wie schnell auf eine Anfrage reagiert, ob auf Augenhöhe kommuniziert wurde und wie gut und qualifiziert sich der Umgang des Unternehmens mit dem Kunden gestaltet. Unsere erweiterte Sicht der Supply Chain macht das sichtbar, weil alle Schnittstellen zum Kunden einfließen – also nicht nur im Verkauf, sondern auch in der Produktion, Buchhaltung, Lieferung und im Kundendienst.

In den wenigsten Unternehmen die wir kennen, sind diese Servicelevels explizit definiert. Tipp: Geben Sie vor, binnen welcher Zeit Ihr Unternehmen Kundenanfragen beantwortet, und legen Sie auch die Lieferzeiten für Ihre Produkte fest, und definieren Sie mit welcher Zuverlässigkeit Sie liefern wollen, denn 100 Prozent schafft man nie!

Beispielsweise können Sie sagen, 99% der Anfragen sollen binnen 24 Stunden beantwortet sein, und liefern wollen Sie mit 98% iger Verfügbarkeit binnen 3 Tagen. Einen solchen Servicelevel müssen Sie aus Ihrer Geschäftsfeldstrategie ableiten können. Überprüfen Sie doch einmal, ob der gelebte Servicelevel mit Ihrer Strategie konsistent ist.

Fazit: Ein breites Supply Chain-Verständnis bringt Ihr Unternehmen weiter

Mit optimalen Lieferketten sparen Sie nicht nur Kosten, sondern realisieren auch Qualitätsvorteile und Zeit. Zusätzlich dazu ist der Service Level der Lieferkette ein wesentliches Differenzierungsmerkmal in Industrien, in denen die Produkte austauschbar sind. Voraussetzung für eine optimale Aufstellung der Lieferkette ist neben optimierten physischen Abläufen, dass Informationen richtig fließen.

Nicht nur innerhalb Ihres Unternehmen, sondern auch im Austausch mit Ihren strategischen Lieferanten. Zentral dafür ist ein breites funktionsübergreifendes Verständnis der Supply Chain und deren Beitrag im betrieblichen Wertschöpfungsprozess.

Wie ein breites Verständnis des Supply Chain Managements erhebliche Potenziale in Ihrem Unternehmen zu heben hilft, beschreiben wir in einem umfangreichen Whitepaper, das Sie über diesen Link herunterladen können.

Weitere Artikel zum Thema

Walter Maderner | November 21, 2023

Klimaneutralität und soziale Verantwortung in der Post- und KEP-Branche im Jahr 2040

Das Jahr 2040 wird zu einem Meilenstein für die Post- und Kurier-, Express- und Paket-(KEP)Dienste. Die Mehrzahl der im GCI Whitepaper zu diesem Thema untersuchten Unternehmen geben an, bis 2040 die Klimaziele „Netto Null“ in Bezug auf die Treibhausgasemissionen erreicht zu haben. Die klimaneutrale Transformation des Sektors nimmt insbesondere durch die regulativen Bestimmungen der EU […]

Weiterlesen >
Walter Maderner | Oktober 25, 2023

Die Zukunft der Paketzustellung: Effizienz durch innovative Vergütungssysteme

Die Paketzustellung ist ein entscheidender Bestandteil der Logistikbranche und hat in den letzten Jahren einen signifikanten Wandel erfahren. Einer der zentralen Punkte, die den Erfolg und die Effizienz der Zustellung und die Beherrschung der Zustellkosten beeinflussen, ist die Art und Weise, wie Frächter – die Dienstleister der Last Mile – vergütet werden.  

Weiterlesen >
Walter Maderner | Mai 31, 2023

CSDDD als Trigger für kollaborative Ansätze zur Optimierung der Supply Chain

Niemand schafft allein, wozu man gemeinsam imstande ist. Das bewahrheitet sich auch bei der Optimierung von Wertschöpfungsketten. Trotzdem reicht der Analysehorizont im Supply Chain Management oft nicht über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus. An den Schnittstellen zu Lieferanten bleiben die Potenziale einer kollaborativen Zusammenarbeit meist ungenutzt. Wer dagegen auch die vorgelagerten Prozesse – von der Rohstoffbeschaffung […]

Weiterlesen >