Walter Maderner | Juni 23, 2020

Supply Chain Management: Silodenken verhindert gesamtheitliche Optimierung

Für eine gesamtheitliche Optimierung der Wertschöpfungskette braucht es beides: Den Blick fürs kleine Einzelne und fürs große Ganze. Während Führungskräfte die Leistungskennzahlen einzelner Betriebseinheiten meist akribisch verfolgen, bleiben auf gesamtbetrieblicher Ebene Kosten- und Effizienzpotentiale oft ungenutzt. Der Grund dafür: Abteilungsdenken, starre Strukturen und mangelnde funktionsübergreifende Abstimmung. Ein Plädoyer für mehr Weitblick im Supply Chain Management.

Man stelle sich vor: Im Industriebetrieb geht ein Auftrag ein. Die Netto-Produktionszeit beträgt mehrere Stunden, die gesamte Durchlaufzeit des Produktionsauftrags ein oder zwei Wochen. In mehrstufigen Produktionsverfahren ist das durchaus nichts ungewöhnliches. Die tatsächlichen Durchlaufzeiten in der Produktion können mitunter ein Vielfaches der technischen Prozessdurchlaufzeiten betragen. Im Grunde sind zwei Ursachen dafür verantwortlich:

  • Zum einen sind die langen Durchlaufzeiten der Natur mehrstufiger Produktionsprozesse geschuldet: Je Produktionsschritt ergeben sich meist unterschiedliche Anlagenkapazitäten, wodurch Über- oder Unterbeanspruchungen entstehen, die über Pufferläger ausgeglichen werden.
  • Zum anderen führt mangelhafte übergreifende Produktionsplanung zu einer suboptimalen Ausnutzung der Produktionsressourcen. Das ist oft der Fall, wenn auf Ebene der einzelnen Produktionseinheiten zwar hinreichend optimiert gearbeitet wird, übergreifend aber nicht versucht wird, ein Gesamtoptimum zu erreichen.

Während ersteres eine Gegebenheit ist, die man hinnehmen muss, liegt zweiteres durchaus im Bereich des Kontrollierbaren. Die Voraussetzung für eine gesamtheitliche Optimierung der Supply Chain sind die Schaffung einer zuverlässigen Datenbasis und die funktionsübergreifende Betrachtung des Durchlaufprozesses. Oft werden die Zeitstempel der Produktionsaufträge allerdings nicht systematisch ausgewertet, sodass die tatsächlichen Durchlaufzeiten der Aufträge im Dunklen bleiben. Ein Feedback erfolgt meist erst über Kund/innen, die sich über lange Lieferzeiten bzw. die Überziehung von Lieferterminen beschweren. Wird Transparenz über Durchlaufzeiten und Prozesszeiten gewonnen, etwa durch eine Value Stream Analyse, ist eine gute Basis für das Heben von Effizienzpotenzialen der Produktion geschaffen.

Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung

Im ersten Schritt hin zu einem Gesamtoptimum gilt es, nicht nur die Zeitstempel in den einzelnen Produktionsstufen zu erfassen, sondern auch die Produktionszwischenläger. Denn oftmals werden Produktionslose ohne Berücksichtigung der Bestände optimiert. Wer die Rüstzeiten im Verhältnis zu den produktiven Zeiten so gering wie möglich hält, arbeitet zwar isoliert betrachtet effizient – erzeugt dadurch aber natürlich Pufferläger und in weiterer Folge Kapitalbindung. Es gilt also eine Trade-off-Entscheidung zu treffen: Der Wert des Pufferlagers muss den unproduktiven Rüstzeiten systematisch gegenübergestellt werden. Unserer Beratungserfahrung nach passiert das in den wenigsten Fällen. Dabei können hier oftmals schon durch kleine Verbesserungen in der abteilungsübergreifenden Abstimmung große Effekte erzielt werden.

Die Größe der Produktionslose und die Produktionszyklen sind neben Reaktionszeiten und Sicherheitsbeständen die wichtigsten Determinanten der Lagerbestände. Dabei ist es wichtig, sich das Abhängigkeitsverhältnis der Warenbestände von den Produktionszyklen und -losen bewusst zu machen. Je kürzer der Abstand zwischen zwei Produktionsläufen, desto niedriger darf der Sicherheitsbestand ausfallen. Lassen Sie uns das anhand eines alltagsnahen Praxisbeispiel veranschaulichen: Wahrscheinlich haben auch Sie mit der Corona-Pandemie begonnen, Ihre Einkäufe zu bündeln – sprich, weniger häufige, dafür größere Einkäufe zu tätigen. Für einen Wochenvorrat brauchen Sie nun aber auch entsprechend mehr Lagerplatz als wenn Sie jeden zweiten Tag einkaufen gehen würden. Ebenso verhält es sich mit den Produktionszyklen in der Industrie. Je seltener produziert wird, desto höher müssen die Lagerbestände sein. Unserer Beobachtung nach wird dieser Aspekt oft zu wenig beachtet.

In der gelebten Praxis ist das Fertigwarenlager meist in der Verantwortung des Vertriebs und das Produktionslager in der Verantwortung der Produktionsführung. Unter Umständen sind die beiden Funktionen sogar in verschiedenen Vorstandsbereichen (z.B. Vertrieb und Produktion) angesiedelt, wodurch tendenziell zu wenig Austausch stattfindet. Da die Produktions- und Fertigwarenläger isoliert voneinander betrachtet und verwaltet werden, kann der betriebsübergreifende Trade-off nicht in einer Funktion aufgelöst werden. Die unweigerliche Folge: Es kommt zu unnötig hoher Lagerbildung und Kapitalbindung.

Diese Beispiele zeigen deutlich: Es fehlt der gesamthafte Ansatz. Während im Kleinen vor sich hin optimiert wird, verlieren viele Betriebe den Blick aufs große Ganze. Man setzt zu wenig auf bereichsübergreifende Abstimmung und Flexibilisierung, um dem übergeordneten Ziel eines effizienten Supply Chain Managements nachzukommen. Nur eine gesamthafte Betrachtung der Produktionszyklen, Losgrößen, Reaktionszeiten und Sicherheitsbestände ermöglicht eine gesamthafte Optimierung des Systems. Das Potenzial ist signifikant.

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