Walter Maderner | Februar 17, 2022

Supply Chain Management: Häufige Bewusstseinslücken im Distributionsnetz

Die Ineffizienzen im Distributionsnetzwerk sind in vielen Unternehmen ein Schmerzthema. Und wo es weh tut, schaut man nicht gern hin. Darum verschwinden oft kritische Faktoren für Lagerort- und Distributionsstrategien aus der Wahrnehmung des Managements. Die Folge: Immer feinere Distributionsstrukturen aufgrund von Client Pleasing. Während die Lieferzeit sinkt und die Verfügbarkeit steigt, wächst allerdings auch das Working Capital. Was dabei meist übersehen wird, lesen Sie hier.

Oft hört man in Unternehmen die Forderung nach höheren Service Levels. Besonders im Vertrieb hat man ein nachvollziehbares Interesse an hohen Verfügbarkeiten und kurzen Lieferzeiten. Selten hört man in Unternehmen dagegen ein kritisches Hinterfragen von dichten Distributionsnetzwerken. Zu oft bleiben Fragen wie die folgenden unbeantwortet:

  • Welche Erwartungshaltung haben die Kunden und Kundinnen im Hinblick auf das Serviceniveau?
  • Welche Service Levels bietet der Wettbewerb?
  • Wie kann anhand der Leistungsanforderungen innerhalb des eigenen Sortiments differenziert werden?


Kundenzufriedenheit um jeden Preis

In der Praxis folgt die Entwicklung von Distributionsnetzwerken demnach oft nicht strategischen Überlegungen, sondern den Forderungen des Vertriebs. Das führt in vielen Industrieunternehmen zu unverhältnismäßig hohen Sicherheitsbeständen und bindet Kapital in Fertigwarenlagern. Über die Kosten von Client Pleasing lesen Sie hier mehr. Problematisch wird diese Vorgehensweise, wenn durch die hohe Kapitalbindung im Working Capital finanzielle Engpässe entstehen. Als Konsequenz müssen die Lagerbestände oft rasch reduziert werden, was zu Out-of-stock Situationen und in Folge zu Umsatzverlusten führen kann. Spätestens dann fordern die Mängel in der Lagerort- und Distributionsstrategie die Aufmerksamkeit des Managements ein.

Blinde Flecken im operativen Management

Aus unserer Beratungserfahrung wissen wir, wo im operativen Distributionsmanagement häufig das Problembewusstsein fehlt:

  • Vorgabe der Service Levels durch den Vertrieb
    Die Entscheidung über Lieferzeit und Verfügbarkeit berührt fast alle Abläufe im Unternehmen und legt außerdem das Design des Distributionsnetzwerks fest. Denn die Höhe der Lagerstände ergibt sich unter gegebenen Bedarfen aus der angestrebten Verfügbarkeit. Ebenso bestimmt die Lieferzeit den maximalen Radius der Distributionsstandorte. Trotz ihrer Bedeutung sind die Service Levels selten das Ergebnis einer bewussten Entscheidungsfindung. In der Praxis folgen sie meist den Forderungen des Vertriebs.
  • Unzureichende Differenzierung innerhalb des Sortiments
    Faktoren wie Warenwert und Verkaufsdynamik werden in der Bestandsplanung oft nicht auf Artikelebene berücksichtigt. Deshalb sind durch Überbestände von wertvollen Artikeln in vielen Unternehmen erhebliche Summen an Kapital gebunden. Der Trade-off zwischen Verfügbarkeitszielen und Kapitalbindung muss in diesen Fällen genau bewertet werden. Gleiches gilt bei Artikeln mit volatiler Nachfrage und geringem Durchsatz. Für eine professionelle Distributionsstrategie braucht es also eine klare Differenzierung nach dem Lagerwert und den Volatilitäten der Bedarfe.
  • Föderalistisches Denken bei der Standortwahl
    In der Praxis erfolgt die Wahl von Lagerstandorten oft nach länderspezifischen Kriterien. Im Hinblick auf Logistik-Radien ist das nicht immer der optimale Ansatz. Natürlich gibt es in manchen Fällen Entscheidungsfaktoren wie z. B. sprachliche Anforderungen, die bei der Standortwahl berücksichtigt werden müssen. Unsere Erfahrung zeigt aber, dass Ländergrenzen im Distributionsnetzwerk meist eine größere Rolle spielen als ihnen eigentlich zusteht. Das haben wir auch hier bereits festgestellt.


Service Levels: Das Alpha und Omega

Der Erfolg der Lagerort- und Distributionsstrategie steht und fällt also mit der Definition der Service Levels. Sie geben die Höhe der Sicherheitsbestände und den Feinheitsgrad des Distributionsnetzes vor – auch das nötige Working Capital wird durch das Serviceniveau bestimmt. Oft entsteht dort der Knackpunkt: Wenn die Kapitalbindung so hoch wird, dass sie die finanzielle Gesundheit des Unternehmens belastet, werden die Lagerbestände meist undifferenziert reduziert. Das kann wiederum negative Auswirkungen auf die Service Levels haben.

Schlussendlich gilt es, ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem Risiko einer Out-of-stock Situation und der Kapitalbindung bei hoher Verfügbarkeit. Das ist eine analytische Herausforderung und ein ständiger Lernprozess. Wo Sie dabei ansetzen können? Dort, wo es weh tut. Denn erfahrungsgemäß liegen dort die wertvollsten Potenziale. Weiterführende Erklärungen, grafische Veranschaulichungen und konkrete Beispiele haben wir im kostenlosen Download für Sie zusammengestellt. Viel Erfolg!

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