Walter Maderner | Oktober 21, 2021

Pricing in der Praxis: Preissetzung im Versandgeschäft

Einfachheit ist die höchste Form der Raffinesse. Das gilt besonders dann, wenn der Sachverhalt komplex ist. Im Preismanagement ist das Komplexitätsniveau auf eine Vielzahl von Determinanten zurückzuführen, die wir bereits hier diskutiert haben. Im Versandgeschäft reagiert man darauf mit einer immer weiteren Ausdifferenzierung von Pricing-Systemen. Das geht in manchen Fällen so weit, dass für jeden Kunden ein eigenes Preismodell zur Anwendung kommt. Der konkrete Fall eines Paketdienstleisters zeigt, welche Herausforderungen damit einhergehen und wie man sie bewältigen kann.

Zweifelsohne: Professionelles B2B-Preismanagement muss darauf ausgerichtet sein, passgenaue Angebote für einzelne Kunden zu entwickeln. Nur so kann die Preisbereitschaft für einzelne Angebotskomponenten und das Gesamtpaket bestmöglich ausgelotet und vollständig ausgeschöpft werden. Allerdings gilt es abzuwägen, welches Komplexitätsniveau

  • mit den vorhandenen Ressourcen bewältigbar ist und
  • in einem gesunden Verhältnis zum dadurch lukrierten Mehrumsatz steht.

Fahren im Nebel

Im Fall eines Versanddienstleisters steigerte sich die Heterogenität der Pricing-Struktur über die Zeit so weit, dass beide Bedingungen nicht mehr erfüllt werden konnten. Eine zielgerichtete Unternehmenssteuerung war über das Preismanagement bereits unmöglich, als der Klient an uns herantrat. Nach einer ersten Analyse konnten wir folgende Kernprobleme identifizieren:

  • Innere Inkonsistenz
    Die Pricing-Systeme wiesen zum Teil grobe innere Defizite auf. Zum Beispiel wurden Sendungen in bestimmten Fällen günstiger, je mehr sie wogen. Zwar ist das Paketgewicht nicht der ausschlaggebende Kostentreiber im Versandgeschäft – diese Preislogik ist aber natürlich nicht nur paradox, sondern auch schwer umsatzschädigend. Allein durch derartige Inkonsistenzen konnte ein zusätzliches Umsatzpotential von insgesamt 10-15 Mio. Euro abgeleitet werden.
  • Gravierende Preis-/Kostenschere
    Wir stellten fest, dass die Preis- und Kostenlogiken erheblich auseinanderklafften. Während manche Sendungen im Verhältnis zu den Kosten, die sie verursachten, enorm hoch bepreist waren, erwirtschaftete man mit anderen einen negativen Deckungsbeitrag. Die Konsequenz: Eine weitgehende Kosten-Unwahrheit und erhebliche Quersubventionierungen. Solange sich der Mix der Sendungen nicht verändert, können zwar auch auf diese Weise Gewinne erwirtschaftet werden. Allerdings sind die Switching Costs im Versandgeschäft besonders niedrig. Insofern muss man damit rechnen, dass Kunden früher oder später die hoch bepreisten Sendungen an andere Dienstleister vergeben.
  • Mangelnde Ergebniskontrolle
    Die Preismodelle hatten sich in verschiedene Richtungen ausdifferenziert: Mit manchen Kunden wurde ein Stückpreis verrechnet, bei anderen kam eine Kilo-Komponente zur Anwendung. Das hatte zur Folge, dass den Monatsumsatz weder nach Tonnen noch nach Stück hochrechnen konnte. Untermonatig fuhr man also weitgehend im Nebel. Zum Ende der Periode versuchte das Controlling-Team unter hohem Zeit- und Kostenaufwand, nachzuvollziehen, wie das erzielte Ergebnis zustande gekommen ist. Die Unklarheit darüber beschäftigte außerdem die Kunden, die sich die in Rechnung gestellten Beträge oft nicht erklären konnten.

So einfach wie möglich, so komplex wie nötig

Auf Basis unserer Analyse entwickelten wir gemeinsam mit unserem Klienten ein neues Preismodell, das mithilfe vier verschiedener Ausprägungen auf alle bestehenden Kunden angewandt werden konnte. Mit zwei Packstück- und zwei Sendungstarifen konnte am Ende jede Sendung gerecht und nachvollziehbar bepreist werden. Aus dem neuen Preismodell ergeben sich wesentliche Vorteile für die Zukunft:

  • Schutz vor Konsolidierung
    Die relevanten Kostentreiber sind durch das neue Tarifmodell adäquat abgebildet. Veränderungen in der Sendungsstruktur einzelner Kunden wirken sich demnach weniger gravierend auf das Ergebnis aus als das zuvor der Fall war.
  • Nachvollziehbarkeit
    Veränderungen im Frachtumsatz sind im neuen Preismodell leicht über Veränderungen der Sendungsstruktur nachvollziehbar. Das führt zu einer verbesserten Planungssicherheit – sowohl auf Seiten des Klienten als auch seiner Kunden.
  • Einfachheit
    Das neue Tarifmodell ist einfach und kompakt darstellbar. Der Pflege- und Aktualisierungsaufwand konnte dadurch erheblich reduziert werden. Auch die Fehleranfälligkeit verbesserte sich deutlich.

Schlussendlich konnte unser Klient die Komplexität im Preismanagement durch das neue Tarifmodell deutlich reduzieren. Der wesentliche Unterschied zum alten Modell liegt in der akkuraten Abbildung der Kostentreiber. Im Paketgeschäft – wo die Grenzkosten im Vergleich zu anderen Industrien erheblich sind – ist das ein zentraler Faktor. Es kommt im B2B-Preismanagement also vor allem auf ein tiefgehendes Verständnis der Kosten- und Wertschöpfungsstrukturen an. Denn nur so können einfache Lösungen entwickelt werden, die nicht bloß Komplexität reduzieren, sondern den Blick – vorbei an nebensächlichen Detailfragen – auf das Wesentliche lenken.

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