Andreas Frischherz | Oktober 29, 2018

Es ist nicht alles Gold, was EBIT heißt

„Für jedes noch so komplexe Problem gibt es eine ganz einfache Lösung – doch die ist meistens falsch.” sagte bereits Albert Einstein. Im EBIT (Earnings Before Interest and Taxes) meinen viele Unternehmen den heiligen Gral unter den Performance Kennzahlen gefunden zu haben. Speziell wenn es um die Leistungsbewertung von Geschäftsfeldern – also Business Units oder Business Lines – geht, verlässt man sich nur allzu gerne auf das EBIT als alleinigen Indikator für Erfolg oder Misserfolg des Managements. Das ist zwar einfach, aber auch falsch. Denn isoliert betrachtet, ist das EBIT genauso wenig aussagekräftig wie die Erde flach ist. Die Kennzahl ist im Kontext des jeweiligen Geschäfts- und Unternehmensumfeldes zu betrachten, ansonsten kann sie auf Konzern- oder Gruppen-Ebene zu erheblichen Fehlentscheidungen führen.

Die Grenzen einer reinen Ergebnissteuerung

Die Organisationsstruktur des Profit Centers gewinnt bei Unternehmen richtigerweise weiter an Bedeutung. Das zugrundeliegende Management Credo lautet: Schaffe so viele selbstständige Geschäftseinheiten wie möglich und weise ihnen Ergebnisverantwortung zu. Räume dem Management der Geschäftseinheiten Entscheidungsbefugnisse in hohem Maße ein und messe den Erfolg am operativen Ergebnis, das sie erwirtschaften. Das ist im Sinne einer Unternehmenssteuerung à la Beteiligungsmanagements zwar nicht unklug, aber der heilige Kelch, der unsterblich macht, ist damit für eine aktive Unternehmenssteuerung noch nicht gefunden.

Ein Beispiel aus unserer Beratungserfahrung: Ein global agierendes Industrieunternehmen steuert alle seine Geschäftsfelder und -bereiche nach der Kennzahl EBIT. Dabei wird ein einheitliches Zielniveau von 10% EBIT-Marge gesetzt, welches alle Organisationseinheiten gleichermaßen einfahren müssen. Nun kann man sich als Konzernführung mit einem durchschnittlichen Profitabilitätsniveau von 10% – insbesondere wenn dieses nachhaltig über den gewichteten Kapitalkosten des Unternehmens liegt – durchaus zufrieden geben, über die spezifische Performance eines Geschäftsfeldes per se sagt dies aber noch zu wenig aus.

Denn das operative Ergebnis allein gibt zwar Auskunft darüber, ob eine Einheit grundsätzlich profitabel operiert oder nicht, sagt aber nichts über die Leistungsfähigkeit im Wettbewerb bzw. die Anstrengung aus, mit der dieser Profit erwirtschaftet wird. So gesehen macht die Ergebnissteuerung die Welt zur Scheibe und das EBIT zu deren Rand, über den nicht hinausgeschaut wird.

Eindimensionale Performancemessung – Ein gängiges Versäumnis in der Praxis

Unsere Erfahrung zeigt, dass ein differenzierteres Vorgehen in der Leistungsbeurteilung von Business Units oder Business Lines oftmals zu signifikant anderen Perspektiven führt. Das Ausmaß der Verzerrung kann enorm ausfallen.

In einem Beispielfall eines global tätigen Maschinenherstellers wurde das EBIT in der Vergangenheit als die Maßzahl für die Performancebewertung der Vertriebs- und Serviceniederlassungen und in Folge für die Bonifizierung der jeweiligen Geschäftsführungen herangezogen.

Im Zuge der Weiterentwicklung des Unternehmenssteuerungs-Systems haben wir die Treiber des Niederlassungsergebnisses analysiert und uns schließlich gefragt, in welchem Ausmaß das Ergebnis effektiv durch das lokale Management beeinflusst werden kann. Und infolgedessen: Wie aussagekräftig ist das EBIT als Leistungsindikator im individuellen Fall? Inwiefern reflektiert es also tatsächlich die Leistungsfähigkeit des lokalen Managements?

Die Defizite des EBITs als Bemessungsgrundlage für die Leistungsbeurteilung des Managements der Niederlassungen fielen im konkreten Fall teilweise eklatant aus. Besonders anschaulich trat der Fehler beim Vergleich der ost- und westeuropäischen Niederlassungen zutage.

Ausgehend von einem gleichen Maschinen-Absatz und vergleichbaren Preisniveaus erzielte Dänemark ein negatives EBIT, während Rumänien die Ziel-EBIT-Marge übererfüllte. Im Zuge der Detailanalyse stellten wir fest, dass das Ergebnis in Dänemark keineswegs die Folge von Missmanagement war, sondern vielmehr von einem vergleichsweise sehr hohen Lohnniveau verglichen zu Rumänien. Nachdem wir die Ergebnisbeiträge der Niederlassungen einer Faktorkostenbereinigung unterzogen hatten, offenbarte sich ein signifikant anderes Bild der Performance der Niederlassungen: Die rumänische Organisation, die stets ganz vorne rangierte, fiel aufgrund ihrer vergleichsweise niedrigeren Mitarbeiter-Produktivität plötzlich auf einen der hintersten Plätze zurück. Die Ineffizienzen der Niederlassung waren in der Ergebnisrechnung durch die deutlich niedrigen Faktorkosten zugedeckt worden. Diese Leistungsdefizite traten erst durch zusätzliche Analysen und Maßzahlen zutage. Der EBIT-Vergleich ließ insofern keinerlei Rückschlüsse darauf zu, wo besser gewirtschaftet wurde.

Dabei handelt es sich keineswegs um einen Sonderfall. Ganz im Gegenteil: In einer Vielzahl unserer Beratungsprojekte hat sich gezeigt, dass die Produktivität in Hochlohnländern bedeutend höher ist als in Ländern mit niedrigeren Faktorkosten. Das hohe Kostenniveau in Westeuropa zwingt viele dort ansässige Unternehmen zu maximaler Produktivität, um überhaupt profitabel wirtschaften zu können. Der Mehrwert dieser Erkenntnis liegt nicht nur darin, die Performance von Niederlassungen auf fairer Basis bewerten zu können, sondern auch im potenziellen Wissenstransfer von Produktivitäts-optimierten Units hin zu Töchtern, die dieses Potenzial aufgrund niedrigerem Kostendruck bislang noch nicht ausgeschöpft haben. Lesen Sie dazu auch unseren Beitrag zum Thema Benchmarking von Standorten, in dem wir auf die Methodik eines fairen Vergleichs von Unternehmensunits im Detail eingehen.

Echte Geschäftsperformance aufdecken

Stellt man Unternehmen auf den Prüfstand und konfrontiert sie also mit Analysen, die über die reine Ergebnisrechnung hinausgehen, erkennt man nicht selten, dass etliche Profit Center zwar konstant Ergebnisse auf gefordertem Niveau abliefern, die spezifische Geschäftsperformance aber nicht auf Wettbewerbsniveau liegt und die Marktposition und/oder die Produktivität vielleicht sogar über Zeit abnimmt.

Die EBIT-Marge gibt zwar Aufschluss über die erwirtschaftete Rendite eines Jahres, gibt aber keine Auskunft über die relative Wettbewerbsfähigkeit und die Effizienz des Mitteleinsatzes eines Geschäftes. Damit verzichtet man in der Führung und Steuerung der Geschäfte einerseits auf Hinweise darüber, welche Potenziale ungenutzt geblieben sind bzw. andererseits auf aussagefähige (Früh-)Indikatoren zur Nachhaltigkeit der erwirtschafteten Geschäftsergebnisse.

Bei der Performance-orientierten Beurteilung von Geschäftseinheiten ist also nicht nur das operative Ergebnis selbst von Relevanz, sondern auch, wie es zustande gekommen ist und wie nachhaltig es ist. Dabei sind neben dem Renditeniveau im internen Vergleich folgende drei weitere Faktoren besonders wichtig:

  • das Renditeniveau im externen Vergleich zum direkten Wettbewerb
  • die Effektivität in der Marktausschöpfung  
  • die kostenseitige Effizienz im Mitteleinsatz

Eine 10%-ige Umsatz-Rendite kann im externen Vergleich innerhalb der Branche oder im Geschäftsfeld unter Umständen ein vergleichsweise schlechtes Ergebnis darstellen. Und eine Analyse der spezifischen Marktausschöpfung unter Berücksichtigung der eingesetzten Assets, Technologien und des Umlaufvermögens gibt Aufschluss über die tatsächliche marktseitige Effektivität des betrachteten Geschäftsfeldes.

Die Effizienz des Mitteleinsatzes lässt sich gut über die Produktivitätsentwicklung in direkten und indirekten Unternehmensbereichen und -prozessen über Zeit ablesen. Diese kann anhand einfacher Input-Output-Relationen festgestellt und gemessen werden. Im Bereich der Produktion werden diese Daten noch häufiger erhoben, aber auch die Produktivität der indirekten und Overhead Funktionen – wie z.B. Vertrieb, Produktmanagement, Engineering, Anwendungsentwicklung und Finanzen – muss dabei erfasst werden. Im Vertriebsbereich gilt es dabei beispielsweise zu erheben, wie viele Auftragspositionen die Innendienst-Angestellten innerhalb einer bestimmten Zeitperiode abwickeln.

Um beurteilen zu können, zu welchem Maß das Potenzial eines Geschäftsfeldes durch das Management nun tatsächlich ausgeschöpft wird, ist es daher notwendig, die Gesamtperformance – also die marktseitige Effektivität sowie die Effizienz des Mitteleinsatzes – neben der reinen Profitabilität zu messen. Nur so kann festgestellt werden, welche ungenutzten Markt- und Ergebnispotenziale sich möglicherweise hinter dem trügerischen Schleicher eines positiven EBITs verstecken.

Zeit für ein neues Weltbild

Nach dem geozentrischen hat demnach nun auch das EBIT-zentrische Weltbild ausgedient. Es ist Zeit, die Augen für weitere Performancekennzahlen zu öffnen und ihre Interdependenzen zu begreifen. Profit ist wichtig, keine Frage. Aber er muss im Licht der jeweiligen Effizienz- und Effektivitätspotenziale betrachtet werden, um als zuverlässige Grundlage für die Performancebewertung und für Unternehmensentscheidungen wie Investments oder Divestments dienen zu können. Die Grenzen der reinen Ergebnissteuerung sind manifest. Genauso manifest wie die Grenzen der Erdscheibe, von der man zu fallen droht, wenn man sich ihrer nicht bewusst ist.

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