Andreas Frischherz | Juni 23, 2024

Einkauf – eine strategische Funktion

Der Funktionsbereich Einkauf erfährt gerade eine signifikante strategische Aufwertung. Geopolitische Unsicherheiten, hohe Preisvolatilität auf den Beschaffungsmärkten und verschärfte regulatorische Anforderungen wie das Lieferkettengesetz (LkSG), die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) stellen neue, erhebliche Herausforderungen für Unternehmen dar.

Diese Entwicklungen erfordern aktuell in vielen Unternehmen eine umfassende Neuausrichtung des Einkaufs, dessen Bedeutung künftig weit über die Verfolgung der traditionellen Zielsetzungen Kostensenkung und Versorgungssicherheit hinausgeht.

 

Nachhaltigkeit als strategischer Imperativ

Nachhaltigkeit hat sich von einem “Nice-to-have” zu einem zentralen strategischen Element entwickelt. Unternehmen stehen zunehmend unter Druck, ihre Lieferketten transparenter und nachhaltiger zu gestalten. Regulatorische Anforderungen wie das LkSG verpflichten Unternehmen dazu, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten zu erfüllen. Dies bedeutet, dass Einkäufer nicht nur die Kosten und Qualität der beschafften Güter und Dienstleistungen berücksichtigen müssen, sondern auch deren ökologische und soziale Auswirkungen.

Ein nachhaltiger Einkauf erfordert neue Beschaffungsmarkt- und Lieferantenstrategien sowie eine enge Zusammenarbeit mit Lieferanten, um deren Nachhaltigkeitsstandards zu überprüfen und gemeinsam Verbesserungen zu erzielen.

Proaktives Handeln auf den Beschaffungsmärkten

Die Beschaffungsmärkte sind zunehmend von Preisvolatilität und geopolitischen Risiken geprägt. Ereignisse wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Konflikt haben die Anfälligkeit globaler Lieferketten deutlich gemacht. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen Unternehmen ihre Beschaffungsstrategien anpassen und proaktiv auf Marktveränderungen reagieren.

Ein wichtiger Schritt ist die Diversifizierung der Lieferketten. Unternehmen sollten alternative Lieferanten und Beschaffungsmärkte identifizieren, um Abhängigkeiten zu reduzieren und die Resilienz zu erhöhen. Zudem ist es entscheidend, frühzeitig Markttrends zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dies kann durch den Einsatz von Marktforschungs- und Analysetools geschehen, die es ermöglichen, Preisentwicklungen und Risiken in Echtzeit zu verfolgen.

Einsatz neuer Technologien und Methoden

Die Digitalisierung des Einkaufs bietet enorme Potenziale zur Effizienzsteigerung und Kostensenkung. Technologien wie E-Auktionen und Künstliche Intelligenz (KI) können den Einkauf revolutionieren, indem sie Prozesse automatisieren und datenbasierte Entscheidungen ermöglichen. E-Auktionen etwa ermöglichen es, in kurzer Zeit eine Vielzahl von Angeboten einzuholen und die besten Konditionen auszuhandeln. KI kann dabei helfen, Preisprognosen zu erstellen und optimale Bestellmengen zu ermitteln.

Ein konkretes Beispiel ist der Einsatz von KI-basierten Analysetools zur Bewertung von Lieferantenrisiken. Diese Tools können große Mengen an Daten analysieren und potenzielle Risiken wie finanzielle Instabilität oder Compliance-Verstöße frühzeitig erkennen. Dadurch können Unternehmen proaktive Maßnahmen ergreifen, um Lieferkettenunterbrechungen zu vermeiden.

Digitalisierung der Einkaufsprozesse

Die Digitalisierung der Einkaufsprozesse ist entscheidend, um eine transparente und effiziente Zusammenarbeit mit Lieferanten, aber auch innerhalb von Unternehmensverbünden zu gewährleisten. Digitale Plattformen und Tools ermöglichen es, den gesamten Beschaffungsprozess – von der Ausschreibung bis zur Zahlung – digital abzuwickeln. Dies reduziert nicht nur den administrativen Aufwand, sondern erhöht auch die Transparenz und Nachverfolgbarkeit.

Ein zentraler Aspekt ist dabei ist das Master Data Management und die Integration von Lieferanten in digitale Netzwerke. Durch den Einsatz von Lieferantenportalen können Unternehmen Echtzeitdaten zu Bestellungen, Lieferungen und Beständen austauschen. Dies ermöglicht eine engere Zusammenarbeit und eine bessere Planung und Steuerung der Lieferketten.

Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität

Die demografische Entwicklung und der Fachkräftemangel stellen viele Unternehmen vor zusätzliche Herausforderungen, insbesondere beim Aufbau der vielfach noch fehlenden Fähigkeiten im strategischen Einkauf. Um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, müssen Unternehmen gezielt in ihre Positionierung investieren. Dies umfasst flexible Arbeitsmodelle und Karriereperspektiven, den Einsatz neuer Technologien und Methoden sowie die Förderung einer innovationsfreundlichen Unternehmenskultur, um talentierte Fachkräfte zu gewinnen und zu halten.

Grundlegende Ziele des Einkaufs bleiben weiter aufrecht

Trotz der neuen Herausforderungen und Rahmenbedingungen bleiben die grundlegenden Zielsetzungen des Einkaufs weiter aktuell:

  • Versorgungssicherheit: Die Erhöhung der Resilienz der Lieferketten soll die Versorgungssicherheit verbessern und Unterbrechungen minimieren.
  • Lieferantenperformance: Die Steigerung der individuellen Lieferantenperformance durch klare Anforderungen und regelmäßige Bewertungen trägt zur Qualitätssteigerung und Kosteneffizienz bei.
  • Kostenreduktion: Durch strategisches Warengruppen- und Lieferantenmanagement und den Einsatz neuer Technologien sollen die Beschaffungskosten gesenkt werden.
  • Funktionale Produktivität: Die Sicherstellung der funktionalen Produktivität durch effiziente Prozesse und Technologien ermöglicht eine reibungslose Zusammenarbeit mit Bedarfsträgern und Lieferanten auf Augenhöhe.

 

Fazit

Die zeitnahe organisatorische Neuausrichtung des Einkaufs und insbesondere der Aufbau bzw. die Weiterentwicklung von strategischen Einkaufsfähigkeiten sind unerlässlich, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden. Durch die Integration von Nachhaltigkeit, die optimale Nutzung neuer Technologien und die laufende Anpassung der Beschaffungsstrategien können Unternehmen nicht nur ihre Kosten senken und die Versorgungssicherheit erhöhen, sondern auch ihre mittel- bis langfristige Wettbewerbsfähigkeit absichern.

 

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