Walter Maderner | April 26, 2023

Effizienz oder Flexibilität in der Supply Chain: Einen Tod muss man sterben

Es ist billig, aber auch recht, darauf hinzuweisen, dass es bei zwei gegenläufigen Zielen keine harmonische Lösung gibt. Nur wer genau abwägt, kann sich einem Optimum nähern, das beide Interessen intelligent ausbalanciert. Im Supply Chain Management ist das gemeinhin die Aufgabe der Produktionsplanung. Sie schafft einen Ausgleich zwischen Vertriebs- und Produktionszielen – heraus kommt dabei idealerweise ein situationsadäquater Trade-off zwischen Effizienz und Flexibilität. Während es z.B. durchaus sinnvoll sein kann, höhere Kosten in Kauf zu nehmen, um kurzfristige Planungsänderungen unterzubringen, passiert in der Praxis oft folgendes: Man stirbt Versehens beide Tode. Das liegt in den meisten Fällen an einem der folgenden Defizite in der Produktionsplanung.

Wenn ein Ziel nicht verfolgt werden kann, ohne die Erreichung eines anderen zu gefährden, sollte man eines nicht tun: Aufgeben. Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, das schlechtestmögliche Ergebnis einzufahren. Um das zu vermeiden, gilt es, die gegenläufigen Interessen im ersten Schritt zu durchleuchten. Im Supply Chain Management stellt sich der Zielkonflikt folgendermaßen dar:

  • Einerseits liegt es im Interesse des Vertriebs, die Bedürfnisse der Kunden bestmöglich zu bedienen. Dafür braucht es eine rasche Auftragsabwicklung und flexible Einlastungsmöglichkeiten, möglichst kleine Losgrößen und kurze Lieferzeiten. Wieso das sogenannte Client Pleasing zwar ehrenwert, aber oft auch unverhältnismäßig ist, lesen Sie übrigens hier.
  • Dem gegenüber steht die Kernaufgabe der Produktion: Die im Budget festgelegten Mengen zur vereinbarten Qualität und unter geringstmöglichen Kosten herzustellen. Produktionseffizienz beruht aber wiederum auf möglichst großen Produktionslosen und hoher Planungssicherheit.

Ein unlösbares Problem?

Die Produktionsplanung stellen diese konträren Ziele vor ein Problem. Denn kein Planungsmodell kann beide Interessen vollständig befriedigen: Flexibilität geht zulasten der Effizienz und produziert Mehrkosten durch zusätzliche Rüstzeiten. Andererseits bedingt Effizienz standardisierte Abläufe, große Produktionslose und damit steigende Lagerbestände. Angesichts der aktuellen Zinswende stellt Letzteres auch in Bezug auf Working Capital Management eine zunehmende Herausforderung dar. Obwohl sich dabei insgesamt keine Win-win-Situation herstellen lässt, gibt es durchaus Lösungswege, die an ein unternehmensoptimales Gleichgewicht heranführen können. Woran sie erfahrungsgemäß scheitern, fassen wir für Sie zusammen.

Typische Schwachstellen in der Produktionsplanung

In der Unternehmenspraxis wird der Trade-off zwischen Effizienz und Flexibilität meist suboptimal gelöst. Das kann zu einer ungünstigen Auslastung von Produktionsressourcen und erhöhten Herstellkosten führen. Häufige Gründe dafür sind:

  • Reservierung von Kapazitäten für den Vertrieb ohne Kundenauftrag
    Vertriebsmitarbeiter*innen, die unabhängig von den Prinzipien der Produktionsplanung sicherstellen möchten, dass potenzielle Auftragsmengen bereitstehen, können versucht sein, Aufträge einzulasten, bevor sie von Kundenseite tatsächlich bestätigt werden. Das hebelt die Steuerungswirkung der Produktionsplanung aus und ist zudem mit hohen Risiken behaftet. Denn wenn die Aufträge wider erwarten nicht oder anders platziert werden, können mitunter enorme Mehrkosten entstehen.

  • Schnellschüsse
    Wenn die Produktionsplanung keinen klaren Freeze Point für Kundenaufträge setzt, kommt es erfahrungsgemäß vermehrt zu Schnellschüssen. Dann werden spontan Aufträge eingeschoben, die unter Umständen die Abwicklung sämtlicher anderer Aufträge beeinträchtigen. Das führt am Ende oft dazu, dass man zwar die Bedürfnisse eines Kunden auf Kosten der Zufriedenheit vieler anderer erfüllt. Außerdem entstehen durch kurzfristige Planänderungen meist Mehrkosten für zusätzliches Personal bzw. durch notwendiges Umrüsten.

  • Kein Freeze Point
    Um Schnellschüsse zu verhindern, braucht es einen Freeze Point. Dabei handelt es sich um einen bestimmten Zeitpunkt, ab dem in der Produktionsplanung keine Änderungen mehr angenommen werden. Beispielsweise kann festgelegt werden, dass zu jedem Moment die Planung der nächsten Tage eingefroren – also fixiert – wird. Je dichter die Produktionsplanung, desto mehr Bedeutung kommt dem Freeze Point zu. Denn damit steigen für Gewöhnlich auch die Planungskomplexität bei Schnellschüssen sowie die Anzahl der dadurch betroffenen Aufträge.

  • Kein zentrales Management von Beständen
    In vielen Industriebetrieben werden Rohstoff-, Halbfertigwaren- und Fertigwarenbestände nicht übergreifend verwaltet. Das liegt auch daran, dass diese Aufgabe über den herkömmlichen Rahmen der Produktionsplanung hinausgeht und eng mit der Konfigurationsplanung zusammenhängt. Werden die Bestände nicht zentral gemanagt, kommt es oft zu Mehrkosten durch fehlende Informationen und einzelne Partikularinteressen.

  • Kein Informationsrückfluss von Produktion zu Vertrieb
    Sofern der Vertrieb z.B. Möglichkeiten hat, über Aktionen und Rabatte kurzfristig Zusatzmengen abzusetzen, kann ein abgestimmtes Handeln im Fall einer drohenden Unterauslastung wertvolle Opportunitäten schaffen. Die Grundvoraussetzung dafür ist ein entsprechender Informationsfluss von der Produktion zum Vertrieb. Je nach Industrie ist das in der Praxis nur bedingt umsetzbar, aber auch dort, wo darüber Mehrwert zu schaffen wäre, fehlen meist die Kommunikationswege.

  • Keine End-to-End Kostentransparenz
    Wer Produktionsplanung betreibt, muss zunächst festlegen, welche Größe optimiert werden soll. Zwischen Lieferzeit, Kosten und Qualität unterscheidet sich die Schwerpunktsetzung von Unternehmen zu Unternehmen. Entscheidend ist jedoch in jedem Fall, die wesentlichen Kennzahlen im Auge zu behalten. Vor allem bei den Kosten herrscht allerdings oft Intransparenz, was die Entscheidungsgrundlage und Ergebnisverfolgung in der Produktionsplanung stark beeinträchtigen kann.

  • Keine übergreifende Optimierung bzw. Koordination von Produktionskampagnen
    Als Konsequenz eines fehlenden Informationsflusses zwischen Produktion und Vertrieb kann meist auch keine übergreifende Aussteuerung von Produktionskampagnen erfolgen. Überkapazitäten bleiben dann ungenutzt und umgekehrt kann auch auf Kapazitätsengpässe keine Rücksicht genommen werden.

Wer diese Umsetzungshindernisse überwindet, kann zwischen Effizienz und Flexibilität einen Trade-off schaffen, der die Unternehmensziele bestmöglich unterstützt. Einen Tod wird man dabei trotzdem sterben müssen – aber eine professionelle Produktionsplanung verhindert, dass man beide stirbt. Dafür braucht es klare Regeln, die konsequent umgesetzt werden. In der Planung und Zuteilung der Produktionsressourcen zu den Werken und Anlagen liegen vielfach oft große Optimierungspotenziale. Trotzdem wird die Produktionsplanung als Ergebnishebel meist unterschätzt. Wo Sie dabei in Ihrem Unternehmen ansetzen können, lesen Sie im kostenlosen Download. Dort finden Sie außerdem weiterführende Erklärungen und Beispiele zur Optimierung des Supply Chain Managements.

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