GCI | November 26, 2019

Digitalisierung: Zwischen Sinn und Unsinn

Digitalisierung ist in aller Munde. Und wie immer, wenn viel geredet wird, besteht die Gefahr, Grundlegendes nicht zu hinterfragen. Zum Beispiel die Sinnhaftigkeit. Das ist ein Problem. Es soll ja nicht um die Digitalisierung der Digitalisierung willen gehen, sondern vielmehr um die Frage, welchen Mehrwert sie schaffen kann. Denn Fakt ist, dass ein schlechter Prozess, der digitalisiert wird, am Ende immer noch schlecht ist. Wir stellen uns der Sinnfrage.

Jetzt mal nüchtern betrachtet und ganz ohne Zweckoptimismus: Was nützt die ganze Digitalisierung eigentlich? Eine Frage, die unserer Erfahrung nach zu selten gestellt wird. Um sie zu beantworten, muss man zunächst klären, was unter dem ominösen Begriff der Digitalisierung überhaupt zu verstehen ist. Damit haben wir uns in diesem Beitrag auseinandergesetzt: Digitalisierung: Hype oder Revolution. Im vorliegenden Artikel soll es darum gehen, wo und wann Digitalisierung echten Nutzen stiften kann.

Muss man sich immer mit den Größten messen?

Dass das digitale Geschäftsmodell für Technologiefirmen wie Google, Amazon, Facebook und Apple Sinn macht, wird wohl niemand bezweifeln. Ob die Tech-Giganten deshalb auch als Maßstab für den Digitalisierungsgrad eines jeden anderen Unternehmens herangezogen werden sollten, darf durchaus kritisch hinterfragt werden. Wenn man von Google und Facebook spricht, geht man nämlich von rein digitalen Geschäftsmodellen aus. Man darf jedoch nicht vergessen, dass in der physischen Welt der materiellen Güter ein Unterschied zur rein digitalen Sphäre besteht. Sinn und Zweck von Google und Facebook ist es, mit Information zu verarbeiten und diesen zu handeln – der eine mit Suchmaschinen, der andere mit sozialen Netzwerken. Nun bewegen wir uns aber in einer physischen Welt, in der es auch Anlagen, Maschinen und Produkte gibt. Es liegt in der Natur der Sache, dass hier nicht vollständig digitalisiert werden kann. Die analoge Welt arbeitet nach anderen Gesetzmäßigkeiten als die digitale. Dessen muss man sich bei Transformationsprozessen bewusst sein. Man kann Produkte intelligenter machen und auch Maschinen, man kann Services intelligenter machen und auch Kundenschnittstellen – aber das physische Produkt wird am Ende noch immer das physische Produkt bleiben.

Man muss beachten, dass es unterschiedliche Ausprägungen der Digitalisierungsmöglichkeiten gibt. Der vollste Ausprägungsgrad ist bei rein digitalen Geschäftsmodellen gegeben – diese sehen wir vorwiegend bei Medienunternehmen. Aber auch die Musik ist komplett digital geworden. Die Veränderungen der letzten 150 Jahre in diesem Bereich mögen das illustrieren: Vor 150 Jahren erklang Musik nur dann, wenn sie von Musikern vor Ort gespielt wurde. Das veränderte sich durch die Erfindung des Grammophons, die den Musikgenuss vom Spielen entkoppelte, aber auf ein physisches Trägermedium “Schellack” angewiesen war. Von der Schellack und Schallplatte  ging die Entwicklung zur digitalen CD. Heute wird Musik über onlinedienste gestreamt oder über mp3 Formate digital distribuiert und konsumiert. Die gesamte Musikbranche ist in den letzten 25 Jahren massiv durch die vollständige Digitalisierung des Produktes und die Distributions Möglichkeiten des Internet transformiert worden. Eines zum Trost: Live Konzerte gibt es noch immer! Auch die gesamte Presse- und Medienlandschaft hat sich komplett digitalisiert. Das zeigt: In diesen Bereichen gibt es ein wesentlich breiteres Portfolio an Möglichkeiten als beispielsweise im Maschinenbau.

Digitalisierung ist Maßschneiderei

Es muss also genau bewertet werden, für welche Produkte, Services, Prozesse oder Geschäftsmodelle Digitalisierung Sinn macht. Entscheidende im Unternehmen müssen sich daher die Fragen stellen:

  • Wo kann damit Mehrwert bei Kund/innen geschaffen werden?
  • Wo können Kosten eingespart werden?
  • Wo kann schneller, effizienter, qualitativ besser gearbeitet werden?
  • Wo können Servicelevels gesteigert werden?
  • Wie lassen sich dadurch Wettbewerbsvorteile generieren?

Google und Amazon als Benchmark heranzuziehen ist bei Weitem nicht für jedes Unternehmen zulässig. Es gilt, gezielte Überlegungen für den konkreten Einzelfall anzustellen. Wo man aber anknüpfen kann, ist bei der Frage, was die Technologiefirmen besonders gut machen – dann wird man zum Schluss kommen, dass ihre Kernkompetenz darin liegt, die Bedürfnisse ihrer Kund/innen zu verstehen und Produkte und Services anzubieten, die auf genau diese zugeschnitten bzw. in der Lage sind, latente Bedürfnisse zu wecken. Das kann man sich durchaus auch als Industrieunternehmen zum Vorbild nehmen.

Wie die Umsetzung aussehen wird, ist aber eine andere Frage. Denn im B2B-Geschäft wird nach anderen Regeln gespielt: Die Veränderungsprozesse verlaufen deutlich langsamer als im B2C-Bereich und es herrschen eingespielte Branchen-Usancen, die nicht leicht zu durchbrechen sind. Was man als Industrieunternehmen aber jedenfalls aus der Betrachtung und Analyse der “Digital-Giganten” mitnehmen kann, ist, sich auf das Wesentliche rückzubesinnen: Auf die Kundenbedürfnisse. Das hat per se nichts mit Digitalisierung zu tun, ist aber ein wichtiges Instrument, um sicherzustellen, dass die Veränderungen im Unternehmen am Kundennutzen ausgerichtet werden und nicht aus einem blinden Digitalisierungswahn heraus entstehen. Neue Technologien eröffnen aber jedenfalls neue und sehr effektive Möglichkeiten um Kundennutzen zu steigern – das beginnt bei scheinbar Banalem wie der automatisierten Übermittlung von Auftragsdaten und erstreckt sich bis KI-Anwendungen, die für “Predictive Maintenance” einer Anlage eingesetzt werden.

Schlussendlich muss jedes Unternehmen für sich das Potential ausloten und eruieren, in welchen Bereichen Wettbewerbsvorteile zu erzielen sind. Wichtig ist, dass jedes Unternehmen seine eigene Landkarte zeichnet, um herauszufinden, wo das Geschäftsmodell bestmöglich durch Automatisierung und Digitalisierung unterstützt werden kann bzw. wo unter Umständen ein neues Geschäftsmodell entwickelt werden könnte. Wie Digitalisierung im Einzelfall gelebt wird, hängt also stark von der Unternehmensstrategie und -kultur sowie den Zukunftsvisionen der Firma ab. Ein Standardrezept gibt es dabei – wie in so vielen anderen Bereichen – nicht. Das ist es allerdings auch, was das Unternehmertum so spannend macht.

Wenn Sie mehr über unsere Standpunkte zum Thema Digitalisierung erfahren möchten: Wir plaudern in diesem Podcast aus dem Nähkästchen – hören Sie rein!

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