GCI | Februar 4, 2020

Digitalisierung: Wer zu spät kommt, den bestraft der Markt

Gerade mittelständische Industrieunternehmen zögern oft beim Thema Digitalisierung, denn es gibt viele offene Fragen. Mit welchen Herausforderungen ist bei der Implementierung von Automatisierungsmaßnahmen zu rechnen? Welche Auswirkungen hat die digitale Transformation auf die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und auf die Anforderungen an Mitarbeiter:innen? Während die Antworten darauf noch unklar sind, steigt der Zugzwang. Denn im hyper-dynamischen Wettbewerbsumfeld von heute gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft der Markt.

Kodak war bestimmt eines der ersten Unternehmen, das den Umbruch in der Fotografie vorhergesehen hat. Dennoch verlor der Hersteller für fotografische Ausrüstung mit dem Vormarsch der digitalen Bilder den Anschluss an die Marktentwicklung. Die Folge: Insolvenz. Im Bereich der E-Mobilität wird sich dieses Schicksal wohl auch bei einigen Automobilherstellern wiederholen. Wieso ist das so?

Der Tod kommt schleichend

Klar ist: Niemand schneidet sich selbst gern ein Bein ab. Wenn dies jedoch durch die Einführung eines digitalen Geschäftsmodells geschehen könnte, da das bestehende damit ersetzbar werden würde, ist Zögern sicher angebracht. Es ist eine folgenschwere Entscheidung, die eigene Profitabilität bewusst zu kannibalisieren und niedrigere Margen für ein unsicheres Zukunftspotential in Kauf zu nehmen. Wenn eine Amputation allerdings das Leben des Patienten retten kann, ist es eine durchaus vernünftige Maßnahme. Dass das schmerzhaft ist, ist keine Frage. Dass die Alternative oft noch sehr viel schmerzhafter ausfällt, auch nicht. Meist kommt diese Einsicht und damit die Entscheidung für die Amputation aber zu spät. Und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, sagte bereits Gorbatschow. In diesem Fall ist es der Markt, der Unternehmen abstraft, die zu lange zögern. Denn in der Zwischenzeit ziehen Start-ups und mutigere Player das komplette Digitalgeschäft an sich. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es einen offenen Zugang zu dem Wandel, den die Digitalisierung einleitet. Grundvoraussetzungen, um im beginnenden Digitalzeitalter erfolgreich zu sein, sind somit Offenheit für Neues, Mut zur Veränderung und auch ein bisschen „Boldness”.

Zwischen kontinuierlicher Veränderung und radikalem Wandel

Wenn es um die kontinuierliche Weiterentwicklung existierender Prozesse geht, ist ein zeitgemäßer Führungsstil erfolgsentscheidend. Die bestehenden Mitarbeiter:innen sind wichtige Begleiter:innen auf der digitalen Reise. Es braucht Change Management Maßnahmen, die es ermöglichen, Veränderungen rasch, effektiv und effizient umzusetzen. Um Menschen zielgerichtet durch konstante Veränderungsprozesse führen zu können, sind vor allen Dingen Leadership Skills gefragt. Mehr dazu lesen Sie hier!

Wenn es allerdings eines radikaleren Wandels bedarf, durch den sich ganze Geschäftsmodelle verändern und unter Umständen sogar das Kerngeschäft angegriffen wird, kommt man um die Bildung einer eigenen Organisation kaum herum. Sobald durch ein neues digitales Angebot das bestehende Geschäft konterkariert wird, ist unsere Empfehlung, eine separate Struktur dafür aufzusetzen. Innerhalb eines bestehenden Geschäftes zwei Felder mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen und Prozessen zu etablieren, ist schwierig. Denn in dem Moment, in dem das existierende Modell durch ein digitales repliziert oder kannibalisiert wird, muss mit extrem hohen Widerständen im Unternehmen gerechnet werden. Wenn man neue Initiativen also nicht herauslöst, laufen sie Gefahr, im Ansatz erstickt zu werden. Eine Parallelorganisation aufzubauen ist zweifelsohne ein „bolder” Schritt, aber oft auch der einzige, der einem digitalen Geschäftsmodell erlaubt, sein volles Potential zu entfalten.

Der Kampf um das Talent

Um Digitalisierungsprozesse egal welcher Art erfolgreich zu implementieren, braucht es entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte. Eine der knappsten Ressourcen, die wir heute sehen, ist Talent. Neben der erwähnten Leadership-Kompetenz ist dabei auch die Digital-Kompetenz entscheidend. Arbeitskräfte mit der benötigten fachlichen Qualifikation sind heute schwer zu rekrutieren. Gemessen am Bedarf gibt es noch nicht genügend Nachwuchs.

Viele der 4.0 Anwendungen laufen allerdings auf eine intelligente Verarbeitung der Daten hinaus, für die neue Algorithmen und mathematische Modelle gebraucht werden. Oft müssen industrielle Lösungen maßgeschneidert werden. Denn bestehende Produktionslinien sind meist spezifisch auf die jeweiligen Herstellungsanforderungen abgestimmt, weshalb off-the-shelf Software nicht in Frage kommt. Gleichzeitig ist der Zugang von Unternehmen zu Software-Engineers, die individuelle Lösungen anfertigen können, durch den Fachkräftemangel sehr begrenzt. Change Management im Hinblick auf die digitale Transformation ist also auch Aufgabe des Recruitings. Employer Branding und Arbeitgeberattraktivität rücken dadurch immer weiter in den Mittelpunkt. Denn entgegen so mancher Schreckensprognosen wird auch in Zukunft kein Unternehmen von Robotern allein leben.

Zusammengefasst kommt die Digitalisierung mit ebenso vielen Herausforderungen wie Potentialen daher. Die Unterschätzung der Geschwindigkeit des digitalen Wandels, die Tücken des Change Managements und der Fachkräftemangel sind nur einige davon. Dass sich Organisationsstrukturen und Geschäftsmodelle im Lauf der Zeit verändern müssen, um marktgerecht zu bleiben, ist nichts Neues. Das Tempo, in dem wir diese Umbrüche am heutigen Markt beobachten, ist allerdings beispiellos in der Wirtschaftsgeschichte. Langes Zögern und übermäßiges Misstrauen gegenüber digitalen Neuerungen hat da keinen Platz. Es ist Zeit für entschlossenes Handeln.

Wenn Sie mehr über unsere Standpunkte zum Thema Digitalisierung erfahren möchten: Wir plaudern in diesem Podcast aus dem Nähkästchen – hören Sie rein!

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