Walter Maderner | Januar 17, 2023

Die ungenutzten Potenziale von Produktionsbereinigungen

Wachstum tut weh. Wer expandiert, muss die eigene Unternehmensstruktur permanent neu erfinden. Das stellt vor allem die produzierende Industrie vor Herausforderungen. Denn dort wachsen Unternehmen meist nicht organisch, sondern über Akquisitionen. Dadurch kommt es im Industriebereich vermehrt zur Verflechtung und Duplizierung von Produktionsressourcen. Die Skaleneffekte und Effizienzpotenziale von Akquisitionen bleiben unserer Erfahrung nach vielfach ungenutzt. Zu groß scheinen die Risiken und Unwägbarkeiten von Produktionsbereinigungen. Damit das Wachstum dem Unternehmen am Ende aber nicht nur weh tut, sondern es auch voranbringt, ist eine Entflechtung der Produktion oft notwendig.

Managerinnen und Manager, die bereits Expansionsprozesse begleitet haben, wissen: Wachstum ist eine zweischneidige Angelegenheit. Während die Aussicht auf neue Zukunftspotenziale über die unmittelbaren Mühseligkeiten hinwegtröstet, ergeben sich mittel- und langfristig strukturelle Herausforderungen, die oft unterschätzt werden. Wer angesichts der komplexen Verflechtungen und Redundanzen in der Produktion kapituliert, bleibt auf ungenutzten Potenzialen sitzen. In unserer Beratungspraxis begegnet uns das nicht selten. Am häufigsten sind davon Unternehmen betroffen, die über Akquisitionen wachsen. Aber auch organisches Wachstum kommt mit seinen Tücken: Wenn nach dem Greenfield-Ansatz zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden, führt das vielfach zu einem Überangebot und – infolgedessen – zu einer Preiserosion. Im Vergleich zur Akquisition hat organisches Wachstum allerdings den Vorteil, dass neue Produktionsressourcen optimal in die bestehende Infrastruktur eingepasst werden können. Genau daran scheitert die Übernahme von Unternehmen häufig: Die Integration von bestehenden Produktionsressourcen, die unabhängig voneinander gewachsen sind, ist ungleich schwieriger als der Aufbau neuer Strukturen.

Duplizierung und Verflechtung

Bei Akquisitionen kommt es fast immer zu einer Duplizierung von Produktionsressourcen. Das scheint auf den ersten Blick redundant, kann für multinationale Unternehmen aber aus mehreren Gründen durchaus sinnvoll sein:

  • Belieferung lokaler Märkte durch lokale Produktionswerke
  • Zoll- und steuerrechtliche Vorteile durch lokale Wertschöpfung
  • Senkung des Währungsrisikos
  • Verkürzte Durchlaufzeiten

Innerhalb einer Region – wie z. B. Europa – ist eine Duplizierung allerdings nur selten zielführend. Zusätzlich führen Verflechtungen der Produktion zu einer erhöhten Entscheidungskomplexität. Wenn es mehrere Produktionswerke gibt, die das gleiche Produkt herstellen können, muss eine Logik entwickelt werden, um Aufträge zu verteilen. Was passiert, wenn das nicht geschieht, zeigt dieses Beispiel aus unserer Beratungspraxis: Ein Klient in der produzierenden Industrie betreibt Werke in China und Europa. Welches Werk mit der Produktion beauftragt wird, wurde vor unserem Projekt von den Vertriebsmitarbeitenden entschieden. Nun war die Herstellung in China wesentlich günstiger als in Europa. Aus diesem Grund ließen die Vertriebsmitarbeitenden so viele Aufträge wie möglich im chinesischen Werk produzieren. Als Folge davon stiegen die Herstellkosten im europäischen Werk noch weiter, da sich die Fixkosten auf immer kleinere Auftragsmengen verteilten. Im chinesischen Werk kam es dagegen zu Kapazitätsengpässen. Insgesamt entstand dadurch eine gravierende Schieflage im Produktionsbereich. Als Ergebnis unseres Projekts werden die Aufträge jetzt erst nach Prüfung der Werksauslastung und Freigabe von Kapazitäten vergeben. Auch an diesem Fall zeigt sich, wie problematisch Verflechtungen der Produktion sein können. Trotzdem haben wir bereits in zahlreichen Projekten festgestellt, dass Post Merger Entflechtungen nicht ausreichend umgesetzt werden. Die Effizienzpotenziale einer bereinigten Produktion bleiben deshalb in vielen Industrieunternehmen ungenutzt.

Skaleneffekte und Optimierungspotenziale

Wer es schafft, die verfügbaren Produktionsressourcen nach einer Akquisition sinnvoll zu ordnen, profitiert vor allem durch folgende Effekte:

  • Erhöhung der Produktivität
    Wenn Produktionslose vergrößert werden, fallen die anteiligen Rüstzeiten. Die unproduktiven Stillstandszeiten von Maschinen und Anlagen verteilen sich dann auf eine vergleichsweise größere Menge, wodurch die Kosteneffizienz steigt. Über die Bestimmung der optimalen Losgröße lesen Sie übrigens hier mehr. Neben Skaleneffekten können auch Lernpotenziale genutzt werden: Wird Produktionswissen zu einem bestimmten Artikel bzw. einer Linie an einem Standort gesammelt, schreitet die Lernkurve schneller voran. So können am Ende Kosten eingespart und Qualitätsstandards verbessert werden.
  • Verringerung der Bestände
    Wird der gleiche Artikel an mehreren Standorten gelagert, müssen bei gleicher Verfügbarkeit höhere Bestände geplant werden als bei zentraler Lagerhaltung. Dementsprechend können die Bestände von Rohstoffen, Halb- und Fertigwaren reduziert werden, wenn doppelte Lagerorte aufgelöst werden – und zwar bei gleichem Service Level.
  • Einsparung von indirekten Kosten
    Die indirekten Kosten von Lagerstandorten werden oft unterschätzt. Durch Spezialisierung und Teilelagerung können zum Beispiel Kosten für Instandhaltung und Qualitätssicherung eingespart werden. Mittelfristig können auch Maschinenparks harmonisiert werden.

Risiken und Unwägbarkeiten

Auch wenn sich die Bereinigung der Produktion in vielen Fällen lohnt, ist sie für gewöhnlich mit erheblichen qualitativen und quantitativen Risiken verbunden. Zum einen bedeuten Übersiedlungen von Anlagen bzw. strukturelle Veränderungen vielfach Produktionsausfälle. Neben dem entgangenen Produktionsoutput entstehen nicht selten auch Schwierigkeiten beim Hochfahren der Kapazitäten am neuen Standort. Die möglichen Qualitätsprobleme und finanziellen Risiken können also enorm ausfallen. Dazu kommen andererseits oft Know-how-Verluste, wenn erfahrenes Personal an einem Standort abgebaut werden muss bzw. nicht übersiedelt werden kann. Dabei sind auch Sozialplankosten und politische Risiken zu berücksichtigen – zum Beispiel, wenn das Arbeitsangebot in einer Region stark an dem Standort hängt, der geschlossen werden soll.

Produktionsbereinigungen sind also durchaus ein Schmerzthema. Damit daraus das erhoffte Wachstum entstehen kann, braucht es eine kollektive Anstrengung im Unternehmen. Zunächst sollten die damit verbundenen Risiken quantitativ und qualitativ bewertet werden. Auch die Beanspruchung der internen Kapazitäten ist dabei nicht zu unterschätzen. Unsere Erfahrung hat immer wieder gezeigt, dass die Aufwände im Vorhinein nicht akkurat erhoben werden. Doch nur auf dieser Informationsgrundlage kann entschieden werden, ob eine Entflechtung der Produktion sinnvoll ist oder nicht. Im kostenlosen Download stellen wir Ihnen deshalb weiterführende Erklärungen und schematische Darstellungen zur Dedizierung von Werken zur Verfügung.

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