Walter Maderner | September 11, 2018

Business War Gaming als Instrument der Strategiefindung

Der Mensch ist keine Insel. Und auch das Unternehmen nicht. Der Erfolg des Einzelnen hängt nicht nur vom eigenen Handeln, sondern auch vom Verhalten anderer ab. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu, fand sie doch schon vor über 4.000 Jahren Anwendung in der Militärstrategie. Bereits die Feldherren von damals spielten die eigenen Züge und die möglichen Reaktionen des Gegners systematisch durch, um möglichst gut vorbereitet zu sein. Wer Schach spielt, tut das ebenso. Wer im Gefängnis sitzt auch – das Gefangenendilemma modelliert die interdependente Entscheidungssituation zweier Gefangener nach derselben Logik. Nun sitzen Sie zwar aller Wahrscheinlichkeit nach nicht im Gefängnis, sind aber als Führungskraft im hyper-dynamischen Unternehmensumfeld von heute ebenso gewissermaßen gefangen in einem Dilemma. Denn Globalisierung und Digitalisierung führen zu einer zunehmenden weltweiten Verflechtung und Vernetzung der Akteure am Markt. In der Strategiegestaltung sieht man sich demnach einer stetig wachsenden Zahl an Interdependenzen gegenüber, deren Effekte mitunter nur schwer abschätzbar sind.

Im Marktumfeld von heute wird an multiplen Fronten gekämpft

Strategische Entscheidungen werden durch die Multipolarität des Markt- und Wettbewerbsumfeldes zunehmend komplexer. Als wichtigste Parameter, die die Polarität bestimmen, wären zu nennen:

  • Ein globalisiertes Umfeld mit einer Vervielfachung der Einflussfaktoren durch neue Wettbewerber, politische Schocks, Währungsrisiken, unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen und unterschiedliche Grade der Rechtssicherheit
  • Eine Beschleunigung der Wettbewerbsdynamik, getrieben durch Digitalisierung der Kundenschnittstelle und des Umfeldes und mangelnde Differenzierung der Wettbewerber untereinander
  • Eine verstärkte Nachfrage zu individuellen Kundenlösungen und erhöhte Wechselbereitschaft der Kunden

Eine Folge davon ist, dass Prognosen über die Auswirkungen strategischer Schachzüge immer schwieriger werden. Durch die Verkettung so vieler Einflüsse, die in unterschiedlicher Art und Weise wechselwirken, ist man vor Überraschungen nicht gefeit. Statische Marktszenarien gehören vermehrt der Vergangenheit an, und neue Methoden sind gefragt, um Strategien unter dynamischen Umfeldbedingungen zu testen.

 

Renaissance der Kriegskunst im modernen Wirtschaftskontext

Als die Methode der Wahl wurde die uralte Disziplin der Kriegsspiele – des War Gaming – für die Wirtschaft entdeckt. Das War Gaming hat seine Wurzeln im militärischen Bereich. Erstmals angewendet wurde das War Gaming vor mehr als 4.000 Jahren im alten China als Instrument der Strategieentwicklung und des Strategietests. Damals entwickelten die chinesischen Militärs das Spiel „Wei – Hei“ (Einkesselung), das den Befehlshabern ermöglichte, verschiedene Gefechtssituationen durchzuspielen um dadurch auf Unvorhergesehenes am Schlachtfeld besser vorbereitet zu sein. In Vergessenheit geraten, wurde War Gaming von der Preußischen Armee vor mehr als 200 Jahren wiederentdeckt und weiterentwickelt. Nach dem zweiten Weltkrieg fand War Gaming Eingang ins US Naval College. Heute zählt diese Methode zu den Standard-Handwerkzeugen jeder höheren Offiziersausbildung.

In den 50er Jahren wurde War Gaming erstmals von der American Management Association als Methode im Business Kontext im Zuge der Management-Ausbildung eingesetzt, und ist damit zum Business War Gaming mutiert. Von da an hat das Business War Gaming im Geschäftsumfeld zusehends an Bedeutung gewonnen. Viele Unternehmen setzen diese Methode mittlerweile gezielt zur Klärung komplexer strategischer Fragestellungen ein.

 

Was ist Business War Gaming?

Das Business War Gaming ist eine Methode, strategisch komplexe Fragestellungen in einem dynamischen Setting unter kontrollierten Bedingungen in mehreren Spielzügen durchzuspielen. Es geht darum, das Markt- und Wettbewerbsumfeld mit den wesentlichen Einflussfaktoren zu modellieren und in den einzelnen Spielzügen strategische Entscheidungen an der Reaktion des Umfeldes zu testen. Dabei kommen alle bekannten Methoden der strategischen Analyse zur Anwendung. Auch spieltheoretische Ansätze finden im Business War Gaming Eingang. Wie im War Gaming stehen je Spielzug zwei oder mehrere Parteien in Interaktion. Diese dynamische Konzeption des War Gaming sorgt in Spielzügen nicht selten für Überraschungen. Der spielerische und interaktive Ansatz sorgt für einen wesentlich umfangreicheren Denkrahmen als die Ausarbeitung und Bewertung strategischer Schachzüge im stillen Kämmerlein.

Die Spielzüge im Business War Gaming bilden natürlich nicht alle möglichen Optionen ab. Bei geschickt gewählten Ausgangspositionen der Spielzüge kann ein einziges Business War Game aber schon zu wertvollen Erkenntnissen führen, z.B. was unter den gegebenen Umweltbedingungen jedenfalls unbedingt zu tun oder zu unterlassen ist. Diese Einsichten lassen sich dann erfahrungsgemäß auch auf andere Umweltbedingungen verallgemeinern. Die daraus resultierende interaktive Erfahrung bewegt sich sehr nahe an der Realität und erlaubt, Strategien in einem gesicherten Umfeld zu testen.

 

Wann lohnt es sich, in den Krieg zu ziehen?

Grundsätzlich lässt sich Business War Gaming auf alle strategischen Fragestellungen mit hinreichendem Komplexitätsgrad anwenden, bei denen es zu unvorhergesehenen Reaktionen des Markt- und Wettbewerbsumfeldes kommen kann. Als Beispiele wären zu nennen

  • Markteintritte in neue Regionen oder Branchen
  • Marktanteilsgewinne in einem besonders umkämpften Marktumfeld
  • Abwehr von Wettbewerbern bei Marktöffnungen
  • Allianz-Strategien bei Deregulierungen von Märkten
  • Verdrängung etablierter Technologien durch neue innovative Technologien
  • Einführung eines komplett neuen Pricing Modells
  • Test von Krisen- und Notfallplänen

Dies sind nur ein paar Beispiele, die illustrieren sollen, wie breit die Anwendungsfelder des Business War Gaming eigentlich sind. Es bleibt festzuhalten: Business War Gaming ist eine Methode zur dynamischen Strategiesimulation, die auf jedes Unternehmen und jede Fragestellung individuell adaptiert wird. Den „One size fits all”-Ansatz gibt es nicht. Dennoch gibt es einen grundsätzlichen Ansatz, der im Einzelfall angepasst wird.

 

Der Schlachtplan – In 4 Etappen zum Ziel

Sind die strategischen Fragestellungen präzise formuliert, dann gilt es das Business War Gaming richtig aufzusetzen. In unseren Projekten strukturieren wir das Business War Gaming üblicherweise in vier Schritten. Wie das genau gemacht wird, verraten wir Ihnen im kostenfreien Premium Artikel!

Doch nun zur Frage was es zur erfolgreichen Durchführung des Business War Gaming braucht. Aus unserer Sicht sind folgende relevante Erfolgsfaktoren zu nennen:

  • Commitment und aktive Beteiligung des Top-Managements am Business War Gaming. Der Teilnehmerkreis sollte entsprechend der Fragestellung definiert werden und ggf. nur ausgewählte Bereiche einschließen
  • Klare Zielformulierung
  • Zusammenarbeit in integrierten Teams bei der Vorbereitung und Entwicklung der Szenarien
  • Erarbeitung eines detaillierten und gleichzeitig umfassenden Verständnisses des Marktes durch Industrieexperten und Marktrecherchen
  • Durchführung einer profunden Konkurrenzanalyse
  • Einführung und Vorbereitung der Spielteilnehmer etwa ein bis zwei Wochen vor dem Business War Gaming

 

Ein Anwendungsbeispiel: Wie man sich bei Deregulierung vor einem Markteintritt schützt

Zur Illustration ein Projektbeispiel: Unser Klient, ein Marktführer in einer stark regulierten Industrie, wollte im Vorfeld der geplanten Markt-Deregulierung testen, welche Strategie am besten gegen einen Rosinen-Picker Wettbewerb greifen würde.

Wir analysierten zusammen mit unserem Klienten das strategische Umfeld und identifizierten die wesentlichen Zukunftsfaktoren. Diese Zukunftsfaktoren wurden auf die Relevanz für unsere Fragestellung bewertet und Hypothesen über mögliche Markteintritte generiert. Aus den Hypothesen wurden drei Szenarien entwickelt und grob beschrieben.

Da eines der Szenarien mit Abstand die größte Eintrittswahrscheinlichkeit hatte, wurde entschieden zunächst dieses Szenario zu detaillieren und durchzuspielen. Ein Datenmodell, das die physischen und finanziellen Daten als Grundlage für die Spielzüge lieferte, wurde erstellt und befüllt. Außerdem wurde über Market Research, Benchmarking und Experteninterviews wertvolle Information über mögliche Wettbewerbsmodelle erfasst und strukturiert in einem Game Book dargestellt, welches als Grundlage für das eigentliche Business War Gaming diente.

Aus der Fragestellung des Projektes ergaben sich die drei Spielzüge sehr logisch:

  • Erster Spielzug: Der Wettbewerber bereitet aktiv den Markteintritt vor, rekrutiert Personal und versucht Kunden zu akquirieren. Die strategische Fragestellung für unseren Klienten in diesem Spielzug lautete: Mit welchen Signalen und Maßnahmen kann ich einen Markteintritt verhindern, oder ein Abspringen der Kunden verhindern?
  • Zweiter Spielzug: Der Wettbewerber ist in den Markt eingetreten und expandiert massiv. In diesem Spielzug war die Markteintrittsstrategie des Wettbewerbers entscheidend. Wesentlich war eine sorgfältige Modellierung des Wettbewerber-Geschäftsmodells von Produkt Portfolio, Pricing Positionierung, abgedeckter Gebiete, operativer Aufstellung und Governance-Struktur. Dabei haben wir ein sehr fokussiertes Wettbewerbsmodell entworfen, das in den gewählten Gebieten zu etwa 25% der Kosten unserer Klienten produzieren konnte und die Produkte zum halben Preis profitabel anbieten konnte. Die Frage für unseren Klienten in diesem Schritt war: Wie kann der Schaden begrenzt werden und welche Gegenmaßnahmen kann man ergreifen?
  • Dritter Spielzug: Sättigungsphase: Die Wettbewerbslandschaft hat sich stabilisiert und die Dynamik der Marktanteils-Verschiebung hat sich deutlich verringert („eingeschwungener Zustand“). In diesem Spielzug stellte sich für unseren Klienten die Frage: Wie kann ich das Gleichgewicht möglichst in meine Richtung verschieben?

Der Erkenntnisgewinn aus den drei Spielzügen war bedeutend und weit über das ins Auge gefasste Szenarium hinaus reichend:

  • Es ist kaum möglich, durch „Preemptive Moves“ einen entschlossenen Wettbewerber vom Markteintritt abzuhalten.
  • In einem stark regulierten Umfeld hat der Incumbent keine Möglichkeit, von „Kampfangeboten“ auf vertrieblicher Seite Mengen zu halten.
  • Nur eine absolut fokussierte Strategie verspricht für den neu eintretenden Wettbewerber Erfolg. Jede Aufweichung bedeutet für den neu Eintretenden massive Nachteile auf der Qualitäts- und Kostenseite.
  • Unser Klient kann sich nur dadurch schützen, indem er den Wettbewerber kopiert und eine eigene Geschäftseinheit parallel betreibt und jedes Angebot des Wettbewerbers matched beziehungsweise unterbietet. Auf diese Weise lässt sich die Kannibalisierung kontrollieren und begrenzen.

Aufgrund dieses strategischen Insights entschied sich unser Klient eine derartige Geschäftseinheit im Vorfeld zu gründen und Menge darin auszulagern. Dieser Schachzug brachte es mit sich, dass ein Markteintritt für einen Wettbewerber unattraktiv wurde und bis dato auch nicht erfolgte. Dieser strategische Insight war auch für alle anderen Szenarien zutreffend. Damit kann man zusammenfassend sagen, dass der wesentliche Erkenntnisgewinn aus der Betrachtung eines Szenarios gewonnen werden konnte.

 

Nutzen auch Sie Business War Gaming zum Testen ihrer Strategien!

Zusammenfassend für Sie die drei wesentlichen Vorteile des Business War Gaming:

  • Es wurde getestet!
    • Der ursprüngliche strategische Plan wurde in einem dynamischen Team-Ansatz getestet.
  • Es schließt viele Beteiligte mit ein!
    • Entscheidungsträger – sie implementieren letztlich die Strategie – wurden aktiv in den Entwicklungsprozess mit einbezogen. Das sichert Buy-in.
    • Der ursprüngliche strategische Plan wurde aus der Optik von Konkurrenten, des Regulierers sowie des Marktes betrachtet und herausgefordert.
  • Es hat Substanz!

Nach Business War Gaming haben Sie eine ziemlich klare Vorstellung, wie die Zukunft tatsächlich aussehen könnte, denn …

  • Sie erkennen Schwächen bzw. Lücken in Ihrer ursprünglichen Strategie
  • Sie erhalten neue Erkenntnisse über bereits bekannte und teilweise noch nicht vollständig erfasste Themen
  • Sie verstehen mögliche Aktionen und Reaktionen der anderen Marktteilnehmer
  • Sie sind vorbereitet auf bisher nicht erwartete Ereignisse
  • Sie denken kreativ über die Zukunft nach
  • Sie bauen Vertrauen in Ihren strategischen Plan auf
  • Sie reduzieren Risiken
  • Sie bauen Management Buy-In für künftige strategische Pläne auf

Wenn wir Ihr Interesse geweckt haben, dann verrät Ihnen der Premium Artikel wie es gemacht wird. Viel Erfolg!!

 

Weitere Artikel zum Thema

Walter Maderner | August 11, 2022

Business War Gaming: Im Preiskampf gibt es nur Verlierer

Was Kundinnen und Kunden erspart bleibt, kostet Unternehmen meist viel – und zwar an Deckungsbeitrag. Besonders problematisch wird es, wenn sich die Preisspirale marktweit abwärts dreht. Um Marktanteile zu verteidigen, sehen sich Anbieter gezwungen, immer weitere Preissenkungen zu gewähren, was ihre Margen oft bis zur Unwirtschaftlichkeit schmälert. Wo die Grenzkosten gleich Null sind, ist diese […]

Weiterlesen >
Walter Maderner | Mai 19, 2022

Business War Gaming in der Praxis: Mut zur Selbst-Kannibalisierung als Erfolgsfaktor

In komplexen Entscheidungssituationen ist der smarteste Move oft nicht der offensichtlichste. Das eigene Geschäftsmodell selbst zu kannibalisieren scheint zunächst nach einer wenig vielversprechenden Erfolgsstrategie. Im Fall eines Versanddienstleisters stellte es sich nach einem Business War Game aber als effektive Verteidigungstaktik heraus: Gerüchten zufolge plante eine staatliche Behörde ein digitales Konkurrenzangebot zum physischen Kerngeschäft unseres Klienten. […]

Weiterlesen >
Walter Maderner | Februar 22, 2022

Business War Gaming: Was wäre, wenn…

… ein neuer Mitbewerber Ihrem Unternehmen das Kerngeschäft streitig macht? Oder eine disruptive Technologie das Konsumverhalten von Grund auf revolutioniert? In solchen Fällen stehen Unternehmen oft perplex vor neuen Marktbedingungen. Für einen durchdachten, strategischen Move fehlt dann meist die Zeit. Es kommt zu unüberlegten Kurzschlusshandlungen, die schon vielen Unternehmen die Wettbewerbsposition gekostet haben. Damit das […]

Weiterlesen >