Andreas Frischherz | April 30, 2020

Strukturkosten in Krisenzeiten: Was man aus Auslastungsproblemen lernen kann

Wie gut ein Unternehmen durch die aktuelle Krise kommt, hängt zu einem großen Teil davon ab, in welchem Ausmaß die Strukturkosten an die neue Auftragslage angepasst werden können. Im Bezug auf Gemeinkosten gilt bekanntlich: So variabel wie möglich – so fix wie notwendig. Das sicherzustellen, liegt im Aufgabenbereich der Führungskräfte und wird unserer Erfahrung nach oft hinten angestellt. Eingedeckt mit dem Tagesgeschäft bleibt Manager:innen oft keine Zeit für die funktionale Optimierung und Weiterentwicklung. Die Corona-Krise schafft in vielen Fällen Freiräume, um sich längst Überfälligem zu widmen. Ein Vorschlag, worüber man in freien Stunden im Home Office so nachdenken kann.

Wenn Unternehmen mit Auslastungsproblemen kämpfen, bieten sich über Maßnahmen wie Kurzarbeit, Abbau von Leihpersonal, Bildungskarenz etc. Möglichkeiten, direkte Kosten zu senken und die Kapazitäten den aktuellen Rahmenbedingungen relativ zeitnah anzupassen. Oftmals wird jedoch der gesamte indirekte und produktionsnahe Bereich – die Overheads – außen vor gelassen. Unsere Erfahrung zeigt, dass dies meist auf die geringe Transparenz hinsichtlich der Produktivität und Effizienz von Abteilungen wie Qualitätswesen, Buchhaltung oder IT zurückzuführen ist.

Ein konkretes Beispiel: Ein Unternehmen setzte im Vorjahr rund 320 Mio. € um, wird heuer aber nur knapp 240 Mio. € Umsatz erreichen. Wie viele Reklamationen weniger wird die Qualitätsabteilung daher bearbeiten müssen? Wie viele Buchungen weniger wird die Buchhaltung vornehmen müssen? Hat ein geringerer Absatz/Umsatz eine Auswirkung auf den Auslastungsgrad der IT-Abteilung? Welche Strukturkosten können ohne Gefährdung des Betriebs abgebaut werden?

Fragen wie diese bleiben häufig unbeantwortet, da die spezifischen Kostentreiber meist nicht definiert sind und demnach auch nicht klar gemessen werden können. Mit dieser Problematik haben wir uns bereits eingehend in diesem Blogbeitrag befasst. Durch die Kleinteiligkeit der Beträge bzw. der indirekten Kostenarten gibt es wenige „große Brocken“ bzw. ist es mühsam und aufwendig, effektive Hebel für Kostenreduktionen zu identifizieren und diese zu betätigen. Unsere Erfahrung zeigt allerdings, dass dieser Aufwand durchaus sinnvoll ist, denn Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist.

Nur wer die Kosten kennt, kann sie auch senken

Indem indirekte Kosten bis auf Belegebene analysiert und mit den jeweiligen Kostenstellenverantwortlichen besprochen werden, können meist signifikante Reduktionspotenziale realisiert werden, ohne dabei das Komfortniveau signifikant senken zu müssen. Welche Leistungen wurden in der Vergangenheit extern vergeben und welche Vorteile ergeben sich bei einer möglichen Reintegration? Typischerweise führen Nachverhandlungen mit oder Wechsel von Lieferant/innen, die kurzfristige Festlegung von Budgetobergrenzen oder die Änderung von Unterschriftenregeln zu einer deutlichen Reduktion der Strukturkosten.

Transparenz ist die Mutter der Leistungsoptimierung

Parallel zur Kostenanalyse können auch die Aktivitäten pro Mitarbeiter:in erfasst, quantifiziert, entsprechenden Mengengerüsten zugeordnet werden – wiederum in Absprache mit den zuständigen Abteilungsleiter/innen. Durch diese Leistungsstrukturierung erhält das Management häufig zum ersten Mal Transparenz über die größten Zeitfresser unter den Tätigkeiten der Mitarbeiter:innen. Oft führt dies dann zu Fragen wie z.B.:

  • Wird genügend Zeit für die wertschöpfenden Aktivitäten verwendet?
  • Wie kann der Automatisierungsgrad für spezifische Aufgaben erhöht werden?
  • Ist es sinnvoll, dass z.B. klassische Aufgaben der Versandlogistik durch den Vertriebsinnendienst erbracht werden?
  • Wieso durchläuft ein Auftrag vier verschiedene Positionen?
  • Wieso beschäftigen sich Produktion, Einkauf und auch das Controlling mit der Eingabe und Überarbeitung derselben Kennzahlen?
  • Gibt es Tätigkeiten, die bisher extern erbracht werden, zukünftig aber intern erbracht werden sollten?

Unsere Erfahrung zeigt, dass ein differenzierteres Vorgehen in der Leistungsanalyse von Business Units gänzlich neue Perspektiven auf Effizienz- und Effektivitätspotenziale eröffnet. Das EBIT als alleinige Bemessungsgrundlage für die Leistungsbeurteilung kann dagegen zu signifikanten Verzerrungen führen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Nach unserer Schätzung verfügen nur rund 50% der Unternehmen über ausreichende Systeme für Kostentransparenz und -kontrolle. Gerade wenn es darum geht, in kurzer Zeit rasch zu agieren, sind diese Strukturen Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung – getreu dem Motto „only what can be measured can be managed“. Unabhängig davon, ob ein Unternehmen im aktuellen Jahr unter massiven Einbrüchen leidet und mittelfristig von einem deutlich niedrigerem Auslastungsniveau ausgehen muss oder ob es derzeit nur geringere Einbußen erleidet und einfach in den letzten Jahren ein paar „Fettpölsterchen“ angesammelt hat, empfehlen wir, den aktuellen Herausforderungen mit einer Prüfung des indirekten Bereiches zu begegnen. Gerade hier schlummern aufgrund mangelnder Transparenz über Kostentreiber und Prozesseffizienzen große Potenziale!

Viele von Ihnen beschleicht nach Lesen dieses Artikels wahrscheinlich der Verdacht, dass es auch in Ihrem Unternehmen versteckte Kostensenkungsmöglichkeiten geben könnte. Im Download finden Sie 10 konkrete Beispiele, in denen Strukturkosten eingespart werden konnten, ohne dabei das Komfortlevel senken zu müssen.

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